Der TV-Sender arte hat wieder einmal einen Pharmabashing-Bericht (online bis 14.02.2021) gebracht. Deshalb überreichen wir arte den Sellerie-Award. Der Bericht ist tendentiös und wärmt alte „Skandale“ auf, die, by the way, in Deutschland gar keine Skandale sind.
Den 2020 mit Corona aufgepeppten Bericht, der eigentlich aus dem Jahr 2018 stammt, in der jetzigen Zeit auszustrahlen, ist verantwortungslos, weil man an den Corona-Protesten sehen kann, welche Auswirkungen diese Verunglimpfung hat! Es stärkt lediglich das Mißtrauen gegen die pharmazeutische Industrie. Das ist dumm, denn so kann kein Vertrauen, in beispielsweise Impfungen, nicht nur nur gegen Covid-19, aufgebaut werden. Die genannten Fälle liegen oft weit zurück und stammen vorwiegend aus den USA und Frankreich.
Stimmungsmache mit alten Kamellen
Der Film startet mit einem alten Beispiel aus den USA, dem wir 2015 ebenfalls einen Blogbeitrag gewidmet haben: Ehemaliger Hedge-Fond Manager empört die sozialen Medien
Was hat das mit der pharmazeutischen Industrie in Europa bzw. Deutschland zu tun? Nichts! Es dient der reinen Stimmungsmache. Frage: Was soll das?
Auch weitere, vor allem alte Skandale, werden aufgewärmt:
Fall 1: Epilepsie-Patientin aus Frankreich
Es geht um ein Präparat mit dem Wirkstoff Valproat der Firma Sanofi, das im Jahr 1967 zugelassen wurde. Also ein altbewährtes Präparat. 1967 waren die Zulassungsbedingungen und die Voraussetzungen für klinische Studien noch nicht so streng wie heute. In Deutschland ist seit den 80er Jahren ein Hinweis in der Packungsbeilage aufgeführt, dass Valproat während der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden darf. 2014 wurde der Sicherheitshinweis noch einmal verschärft.
Die Frage, warum das parallel nicht genauso in Frankreich gelaufen ist, muss sich Sanofi allerdings auch von uns fragen lassen. Da arte eine französich-deutsche Koproduktion ist, wird dem Fall, der für Deutschland irrelevant ist, viel Zeit eingeräumt. Das Beispiel wird genutzt, um das Pharmabashing grundsätzlich weiterzutreiben.
Fall 2: Die Opoid-Krise in den USA
Und natürlich nahm die Opoid-Krise in den USA einen großen Teil des Fernsehberichtes ein. Wie in unserem zurückliegenden Blog dargestellt, ist es für Deutschland und Europa kein aktuelles Thema und hat seine Ursache vor allem in dem Gesundheitssystem der USA. Mit Europa gar nicht zu vergleichen.
Fall 3: AMD-Behandlung
Auch der dritte Fall ist leider mehr als alt, es geht um Lucentis von Novartis, zugelassen 2007. Obwohl es mehrfach angeklungen ist, welche Gründe für Lucentis sprechen und die passenden Stichworte Off-lable, Fertigspritze, daher hygienischer, Kosten für die klinische Studie, nicht 100 %ig gleicher Wirkstoff etc. gefallen sind, wird im Bericht nur einseitig gegen Lucentis argumentiert.
Ambivalenz: Ruf nach Hilfe und gleichzeitiges Bashing
Was sollen die alten Kamellen? Und warum das Bashing? Darauf haben wir keine Antwort. Gerade momentan ist doch genau eine solche Hetzerei unangebracht.
In der aktuellen Corona-Pandemie ist der Ruf nach Impfstoffen und nach möglichen Medikamten sehr groß. Und in der Tat, es wird quasi rund um die Uhr gearbeitet, es wird geforscht und geforscht. Erste Erfolge sind schon zu sehen. Dank der Pharmaindustrie.
Umso unverständlicher dieser Beitrag in der jetzigen Zeit. Es ist wieder Wasser auf die Mühlen der Esoteriker und Impfgegnern, die sich gemeinsam mit vielen Rechtsgesinnten auf Corona-Leugner-Demonstrationen tummeln.
In unserem Blogbeitrag Die Geister, die die Medien riefen – Mangelndes Vertrauen in die Medizin legen wir die Gefährlichkeit solcher einseitigen Berichte dar.
Aktionäre und Kapitalismus
Indirekt ist bei allen Beispielen eine Kritik an den Mechanismen des Kapitalismus festzustellen. In der Tat ist es so, dass eine Aktiengesellschaft die Aktionäre befriedigen muss. Viele Aktionäre sind Versicherungen, die zu einem gewissen Anteil für Lebensversicherungen versuchen, die Gewinnausschüttungen, die sie an ihre Kunden zahlen, zu finanzieren. Also indirekt sind wir zu einem Teil selbst am Aktienmarkt beteiligt, wenn wir eine Lebensversicherung besitzen. Außerdem haben viele Menschen Aktienbesitz in Form von Fonds, sind also ebenfalls ein Teil des Kapitalismus.
Die Konzentration der Unternehmen durch den Aufkauf vieler mittelständischen Pharmaunternehmen wurde durch den ständigen Sparzwangs gefördert. Nun gibt es nur noch ein paar weltweite „big player“, meist Aktiengesellschaften, die den Gegebenheiten des Marktes ebenso unterliegen wie beispielsweise die Auto-, Lebensmittel- und Computerkonzerne.
Im Fernsehbericht kommt auch die alte Leier vor, dass die Industrie gar nicht mehr forscht und nur noch Start-Ups aufgekauft. Ist das soviel billiger als eigene Forschung? Und sollen die Start-Ups Millionen Dollar bzw. Euro für klinische Forschung ausgeben? Wovon? Und auch vielversprechende Start-Up-Forschungen führen nicht unmittelbar zu einem vermarktbaren Präparat. Dazwischen sind noch ganz viele Schritte, die überhaupt nicht garantieren, dass es ein Arzneimittel auf den Markt schafft. Diese Kosten trägt die pharmazeutische Industrie. Das blendet der Beitrag vollständig aus.
Jedes Unternehmen versucht, soviel Geld wie möglich durch den Verkauf eines Produktes zu bekommen. Wenn ein Unternehmen nicht so arbeitet, ist es nicht wettbewerbsfähig. Wie alles auf der Welt: Es gibt nichts zum Null-Tarif, auch keine Medizin. Medien bedienen immer wieder die sog. „Ethik-Falle“ der Medizin, d. h. eigentlich darf man mit Gesundheit kein Geld verdienen, weder die Ärzte noch die Industrie.
Masse statt Preis
Was kann man also tun? Der Ansatz der ehemaligen französischen Gesundheitsministerin, dass sie der Industrie anbietet, einen höheren Absatz zu garantieren, dafür akzeptiert die Industrie einen deutlich niedrigeren Preis und Europa finanziert somit die Arzneien für die Entwicklungsländer, ist eine interessante Überlegung, über die man nachdenken kann. Es könnte eine Win-Win-Situation werden. Allerdings sind mögliche Folgen, wie Reimporte, welche Entwicklungsländer werden unterstützt, Korruption und medizinische Standards in den jeweiligen Ländern etc. zu berücksichtigen.
Transparenz
Der alte Feind der pharmazeutischen Industrie, der Journalist Markus Grill, gibt gegen Ende des Beitrags sein Statement ab und behauptet weiterhin, dass keine Transparenz herrsche und der freiwillige FSA-Kodex nicht funktioniere. Dem ist nicht so, wie wir an vielen Stellen in diesem Blog aufgezeigt haben.
Dass viele Ärzte nicht möchten, dass ihr Name in Listen erscheint, dass sie für die Pharmaindustrie forschen, Vorträge auf Kongressen halten oder in namhaften Zeitschriften Artikel veröffentlichen, liegt u. a. an ihm selbst, an seinen Spiegel-Artikeln und an der Suchliste, die er mit Correctiv veröffentlicht hat, damit Patienten abfragen können, ob ihr behandelnder Arzt Geld von der Industrie erhält. Der Zusammenhang, für was die Ärzte ihre Dienstleistung erbracht haben, ist für Patienten nicht ersichtlich und hat daher zu Verunsicherung geführt. Kein Wunder also, dass Ärzte nicht mehr der Industrie erlauben, ihren Namen zu veröffentlichen. Wenn alle Ärzte aufgeführt sein sollen, muss man den Datenschutz in diesem Fall gesetzlich aufheben. Das kann Herr Grill gerne fordern. Solange es so ein Gesetz nicht gibt, darf die Industrie den Namen keines Arztes veröffentlichen, wenn er nicht zugestimmt hat.
By the way: es gibt weder Schecks, noch unbegründete Reisen. Ohne die partnerschaftliche Arbeit zwischen Industrie und Medizinern wird es keine Fortschritte bei Medikamenten, medizinischen Geräten und Behandlungsverfahren geben.
Bezug zu Covid-19
Ganz zum Schluss des Beitrages findet noch ein Bashing gegen Gilead und Remdesivir statt, auch wieder am Beispiel der USA. Das hat nichts mit Europa zu tun! In den USA ist der Staat „klein“, deshalb finanziert anscheinend die Industrie Abteilungen der Zulassungsbehörte FDA. So etwas ist in Europa undenkbar, weshalb man hier auch deutlich höhere Steuern zahlt. Im Endeffekt müssen in den USA die Patienten die Kosten – auch die der FDA – statt über Steuern über die Medikamentenpreise zahlen.
Glückwunsch zum Sellerie-Award
Sellerie ist – gemeinsam mit Grünkohl – für die Autorin das schrecklichste Essen auf der Welt. Und dieser arte-Beitrag ist so unterirdisch schlecht und tendenziös, dass der Sellerie-Award den Autoren und dem TV-Sender arte wahrlich gebührt! Glücklicherweise sehen nicht sehr viele Menschen arte!
Quelle der Bilder:
Titelbild:
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Der arte-Beitrag berichtet am Ende über Gilead und Remdisivir. Den schwarzen Peter, dass die FDA die Zulassung von Remdisivir voreilig war und nicht den wissenschaflichen Standards entspricht, schiebt arte natürlich dem pharmazeutischen Unternehmen selbst zu. Der Fall stellt sich aber ganz anders da, wie die New York Times schreibt: https://www.nytimes.com/2020/08/10/health/stephen-hahn-fda.html
Der von Trump selbst ernannte Leiter der FDA, Stephen Hahn, scheint der Trump-Administration hörig zu sein. Das hat auch Auswirkungen auf Europa, da die EMA sich mit ihren Entscheidungen sehr häufig an der FDA orientiert (aber nicht zwingend übernimmt). Die FDA steht für „akkurate und wissenschaftsbasierte Entscheidungen im Sinne von Patienten und Fachkreisen“, wie das arzneitelegramm schreibt. (Also trotz Finanzierung durch die Pharmaindustrie.)
„Auch die Ankündigung des FDA-Leiters HAHN, dass es abhängig von den Daten möglich sei, eine SARS-CoV-2-Vakzine bis zum 3. November 2020, dem Tag der Präsidentenwahl in den USA, zuzulassen, selbst wenn die Phase-III-Erprobung noch nicht abgeschlossen ist, lässt auf einen Mangel an Autonomie der FDA von der TRUMP-Administration schließen. Solche Vorgänge gefährden das ohnehin fragile Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfstoffe.“ (Quelle: http://www.arznei-telegramm.de 9/20)
Medscape erzählt Teile des Inhalts wieder: Leider keine wirkliche Analyse, wenn auch hier und da Lücken des Filmes offenbart werden.
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4909275?faf=1&src=soc_fb_200923_mscpmrk_ous_de_top5&fbclid=IwAR2x8i3r-MkRpd7Em_EzBgotEzoodi01bJRIYSibChvV4_fTvV5PJDhJNQE#vp_1