Ist Datenschutz wichtiger als Daten, um Entscheidungen treffen zu können? Jein. Datenschutz ist wichtig, aber es gibt Grenzen, denn „Daten teilen heißt besser heilen“, wie Bernhard Seidenath (CSU) formuliert (Quelle: Ärztenachrichtendienst).
Gesundheitsdaten müssen erhoben werden
Uns fehlen Gesundheitsdaten in jeder Form. Über Krankheiten und ihre Ursachen beispielsweise. Es gibt m. W. keine umfassende Sammlung, wo alle Krebsdaten gesammelt werden, in denn wirkliche Zusammenhänge gefunden werden können. Ab und an gibt es Doktorarbeiten, die Daten auswerten, aber es gibt keine einheitliche und gleichmäßige umfassende Erfassung bundes- oder vielleicht sogar europaweit.
Das bestätigt Wolfgang Branoner, ehemaliger Berliner Wirtschaftssenator, bei Pharma-Fakten:
„Denn von den Gesundheitsdaten, die in Deutschland en masse vorhanden sind, ist nur ein kleiner Teil strukturiert; die Schätzungen liegen zwischen fünf und 25 Prozent. Damit sind sie für die Digitalisierung nur bedingt nutzbar, sie müssen aufgearbeitet werden.“
Aber wer soll die Daten erheben? Sie müssen noch genauer als bisher kodiert in die Softwaresysteme von Kliniken und Praxen eingegeben werden, was ein ungeheurer Aufwand ist und noch mehr Bürokratie nach sich ziehen wird. Die verschlüsselten Daten müssen dann an eine zentrale Auswertungsstelle. Dies dürfen nicht die Krankenkassen sein, gerade bei pseudonymisierten Daten ergäbe sich eine Missbrauchsmöglichkeit. Branoner denkt an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie es in Dänemark und Österreich bereits umgesetzt ist. In Großbritannien sollen – dank des zentralistischen NHS – 85 % der Daten aufgearbeitet sein.
Die Daten müssen auch der Forschung und auch der forschenden pharmazeutischen Industrie zur Verfügung gestellt werden, nur dann lassen sich Innovationen aus den Daten erwarten.
Medizinische Registerdaten
Es gibt zwar Krankheitsregister zu chronischen, z. B. rheumatischen Erkrankungen, und schweren Erkrankungen, z. B. Krebs oder Hämophilie, in denen Daten zu der Erkrankung gesammelt werden. Dort werden die Krankheitsverläufe und Therapien eingepflegt. Es gibt außerdem Qualitätsregister und bevölkerungsbezogene Register. Einheitliche Standards für Register gibt es noch nicht, weshalb die EU daran arbeitet, diese zu entwickeln. (Quelle: vfa)
„Medizinische Register gehören neben klinischen Studien zu den wichtigsten Werkzeugen bei der Erforschung von neuen Therapien und zur Verbesserung und Überprüfung bereits etablierter Behandlungsverfahren. Da Registerdaten in der Routine-Versorgung erhoben werden und somit die oftmals komplexe Behandlungsrealität widerspiegeln, sind sie in besonderem Maße dazu geeignet, versorgungsrelevante Forschungsfragen zu beantworten.“ (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit)
Expertenkommission bemängelt Datenlage
Ob die eingesetzte Sachverständigenkommission zur Beurteilung der Pandemiemaßnahmen wirklich sinnvoll war, lässt sich diskutieren, aber nicht an dieser Stelle. Ein Ergebnis des Experten war wichtig, nämlich der Hinweis auf die fehlende Datenlage.
„Ein zentrales Problem sei auch gewesen, dass es „nicht gelang, seit dem Beginn der Pandemie eine ausreichende, stringente und begleitende Datenerhebung zu etablieren“, monierte die Virologin Rübsamen-Schaeff. „Mit diesen Einschränkungen muss die Kommission, aber auch die Gesellschaft umgehen.“ … Der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Schmidt mahnte, die Politik müsse, wenn sie später eine Evaluation wünsche, möglichst von Anfang an Kriterien dafür festlegen und die Erhebung der entsprechenden Daten organisieren.“ (Quelle: aerzteblatt.de)
Ob man die fehlende Datenlage allerdings dem RKI-Chef Wieler in die Schuhe schieben muss, ist fraglich. Die Ursache ist vermutlich eher ein strukturelles Problem und passt in die Reihe: Im Gesundheitswesen arbeiten die Teilnehmer nicht Hand in Hand. Jeder hackt dem anderen Teilnehmer „ein Auge aus“. Das erklärt sich sicherlich aus der Mischung von Planwirtschaft und Marktwirtschaft im Gesundheitsweisen. Manche Player sind zwar selbst marktwirtschaftlich mit entsprechend vollem finanziellen Risiko im System, unterliegen aber gleichzeitig einer planwirtschaftlichen, sprich budgetierten, Finanzierung. Konflikte sind folglich vorprogrammiert und jeder versucht das größte Stück vom Kuchen für sich zu reklamieren.
Deshalb ist eine Forderung im White-Paper für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem, die Player zusammenzubringen und das „Silo-Denken“ aufzubrechen. Leichter gesagt als getan, denn dafür muss eine völlig andere Finanzierung aufgebaut werden. Aber eine zukünftige engere Verzahnung lässt hoffen, dass parallel die Datenauswertung erleichtert wird und die Erfassung nicht noch mehr unbezahlte und unerfreuliche Arbeit von Mediziner:innen, Apotheker:innen und dem Pflegepersonal erfordert.
Fazit
Im Rahmen einer wirklichen Gesundheitsreform müssen die Strukturen für die Datenerfassung und Auswertung gelegt bzw. verbessert werden. Wenn es in Deutschland nicht zeitnah gelingt, werden Vorgaben aus Brüssel kommen, die dann umgesetzt werden müssen. Vielleicht ist „Druck von oben“ der richtige Weg. Bis jetzt hat fast jeder Gesundheitsminister vorwiegend Chaos angerichtet, statt das Gesundheitssystem zukunftsfähig zu gestalten in Hinblick auf die demographische Entwicklung und den Forschungsstandort Deutschland.
Links:
https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/abcgesundheitspolitik/register-schnell-erklaert.html
https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-004-0828-1
https://pharma-fakten.de/news/1252-das-gesundheitssystem-muss-auf-den-pruefstand/
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