Die landläufige Meinung ist immer noch, dass Mediziner:innen – und Praxisinhaber:innen im Speziellen – reich sind. Sie können locker die aktuelle Inflation und die gestiegenen Energiekosten privat und in der eigenen Praxis wegstecken. Gar kein Problem, oder?
Doch, denn das Einkommen von Ärztinnen und Ärzten wird gerne überschätzt. Übrigens wird auch das Gehalt des Bundeskanzlers überschätzt: Bundeskanzler Scholz verdient ca. 360.000 Euro brutto pro Jahr. Für den Stress und Ärger nicht wirklich viel.
In der Presse werden Einkünfte von niedergelassenen Mediziner:innen gerne als „Reinertrag“ bezeichnet. Der Reinertrag entspricht aber nicht dem Gewinn und ist auch nicht vergleichbar mit einem Nettogehalt von Angestellten. Das werden wir im Folgenden darlegen.
Stimmt es, dass Mediziner:innen Top-Verdiener sind?
Klares jein. Selbst ein Fachportal räumt ein, dass man das nicht pauschal sagen kann, denn man muss unterscheiden zwischen:
- Angestellten Ärztinnen/Ärzten in Krankenhäusern, die oft nach Tarif bezahlt werden
- Angestellten Mediziner:innen in niedergelassenen Praxen, MVZs o. ä.
- Niedergelassenen, also selbständigen, Ärztinnen/Ärzte
und innerhalb dieses Rasters noch nach der Spezialisierung und jeweiligen Position. Außen vor lassen wir Mediziner:innen in der Industrie, wir betrachten nur ärztlich tätige.
Rechenbeispiel für eine kleine bis mittlere Hausarztpraxis*
- Von 200.000 Euro Umsatz einer hausärztlichen Praxis mit ca. 800 bis 1.000 „Scheinen“ bleiben:
- abzgl. ca. 50 % Praxiskosten/Aufwendungen, z. B. für Sach- und Personalkosten (vor der Erhöhung der Energiekosten) = 100.000 Euro vor Steuern, Kranken-/Pflege- und Rentenversicherung (zu Erinnerung: Es gibt keinen Arbeitgeber, der den Arbeitnehmeranteil übernimmt!)
- Das ist der sog. „Reinertrag“
- abzgl. 769,16 Euro monatlichem gesetzlichen Krankenkassenbeitrag (14,6 % ohne Zusatzbeitrag, im vorliegenden Fall Höchstsatz, da über der Beitragsbemessungsgrenze**) = 9.229,92 Euro jährlich
- abzgl. 147,54 Euro monatlichem Beitrag Pflegeversicherung (3,05 % plus ggf. Kinderlosenzuschlag 0,35 % = 164,48 Euro inkl. Kinderlosenzuschlag – hier außen vor) = 1.770,48 Euro jährlich
- abzgl. 1.311,30 Euro Ärzteversorgung monatlich = 15.735,60 Euro jährlich
- (abzgl. private Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung – beides notwendig, aber zählt hier zu „Privatspaß“ und wird nicht abgerechnet)
- abzgl. ca. 50 % Praxiskosten/Aufwendungen, z. B. für Sach- und Personalkosten (vor der Erhöhung der Energiekosten) = 100.000 Euro vor Steuern, Kranken-/Pflege- und Rentenversicherung (zu Erinnerung: Es gibt keinen Arbeitgeber, der den Arbeitnehmeranteil übernimmt!)
- 73.264,00 Euro jährlich = 6.105,33 Euro monatlich vor Steuern (hiervon gehen zusätzlich nicht von der Praxis abzugsfähige Versicherungen – oben als „Privatspaß“ bezeichnet – noch ab). Im Endeffekt bleiben also netto ca. 25 % des Umsatzes.
Das ist entfernt von reich und entfernt von zu hohem Verdienst bei der Verantwortung, dem Zeitaufwand und dem Ärger. Warum tut man sich das an, was ist der Vorteil von einer eigenen Praxis? Das ist Selbstbestimmtheit und in engen Grenzen die freie Arbeitszeiteinteilung. Deshalb bevorzugen viele die eigene Praxis gegenüber dem Angestelltenleben im Krankenhaus.
Andere Facharztgruppen verdienen durchaus mehr als hausärztlich tätige Mediziner:innen, müssen aber auch deutlich mehr in die Ausstattung einer Praxis investieren, denken Sie nur an die Radiologie. Auch eine gynäkologische Praxis hat viel höhere Anschaffungskosten als eine hausärztliche. Die Kosten müssen dann erst einmal erwirtschaftet werden.
Inflation und Kostenexplosion trifft auch Mediziner:innen
Wie bei uns allen, steigen auch für die Praxen die Kosten für Energie, Gehälter der Angestellten, Beschaffung von Material, Miete etc. Die Einnahmen steigen aber nur sehr bedingt, genau genommen um 2 %, also quasi nichts, da die Inflation über 7 % liegt. Das ist also eine „Nullrunde“. Dazu meint Hessens KV-Chef Dastych:
„Wir fordern die verantwortlichen Gesundheitspolitiker in Berlin und Herrn Minister Lauterbach daher auf: Wer sich damit profiliert, Leistungsminderung in der Versorgung verhindern zu wollen, wer das sogar in einen Koalitionsvertrag schreibt, der darf nicht untätig zusehen, wenn der Spitzenverband der Krankenkassen die wohnortnahe ambulante Versorgung zerschlägt, indem er der Vertragsärzteschaft und den Psychotherapeutinnen und -therapeuten eine wiederholte Nullrunde ‘verordnet’. Die logische Konsequenz müssen sonst Leistungsbegrenzungen und -kürzungen für die Versicherten sein.“
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat mal den Taschenrechner bemüht und kam zu folgendem Ergebnis:
„Laut Statistischem Bundesamt betrug die Inflationsrate im Juli 7,5 %. Das Zi setzt diesen Wert in seiner Kostenprojektion als Untergrenze für die Entwicklung in den Praxen an. Pro Inhaber ergibt das allein 2022 eine Kostensteigerung von 12.700 Euro, schreibt das Zi. Auf die Personalkosten entfallen davon mindestens 7.100 Euro. „Gegenüber 2017 wären die Personalkosten dann um mehr als 30 %, die Gesamtkosten für den Praxisbetrieb um nahezu 27 % gestiegen“, so das Zi.“
Die passende Grafik dazu findet sich unter folgendem Link: https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/praxismanagement/artikel/praxiskosten-segeln-ueber-der-inflationsrate
Selbständige sind in Deutschland benachteiligt
Angestellte Mediziner:innen sind momentan klar im Vorteil, sie haben zwar die privaten Mehrkosten, aber das betrifft alle Bundesbürger gleichermaßen. Angestellte erhalten alle die sog. Energiepauschale von 300 Euro, somit auch angestellte Mediziner:innen. Praxisinhaber:innen nicht, sie trifft alles doppelt, also einmal privat und einmal beruflich – ohne jeden Ausgleich.
Beim Energie-Entlastungspaket sind Selbständige außen vor, eine Entlastung gibt es nur für Unternehmen. Ärzte und Ärztinnen in Praxen sind Solo-Selbständige, die allerdings noch nicht einmal ihre Preise frei bestimmen können. Sie sind quasi „Angestellte“ der Krankenkassen und bei Privatpatient:innen an die GOÄ gebunden. Trotzdem tragen sie das komplette Risiko selbst.
Und jetzt spart Gesundheitsminister Lauterbach auch noch die Neupatient:innenvergütung ein. Es wird Zeit, dass auch Ärztinnen und Ärzte sich wehren, z. B. durch Streik und sich nicht ständig in die „Ethikfalle“ begeben.
Kann die Praxis einfach mehr Umsatz erwirtschaften?
Auch diese Frage kann man wieder mit einem klaren „jein“ beantworten.
- Mit mehr Privatpatient:innen sicherlich, aber es gibt nur ca. 10 % Privatpatient:innen und um die kämpfen alle Praxen. Allerdings gibt die GOÄ (Gebührenordnung Ärzte) auch einen eng gesteckten Rahmen vor, die Preisgestaltung ist also nicht frei. – Daher eher eine begrenzte Möglichkeit mehr Umsatz zu erwirtschaften.
- Mit individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL), aber diese werden in der Presse und von Verbraucherzentralen meist kritisch beachtet.
- Mit Paramedizin, wie Homöopathie, Akupunktur und Eigenbluttherapie lässt sich eine Umsatzerweiterung erzielen. Aber das kann ein/e wissenschaftliche/r Mediziner:in nicht wirklich wollen und verantworten.
- Wer nicht medizinisch indizierte Leistungen in seiner Praxis anbietet, z. B. die sog. Schönheitschirurgie***, schafft wahrlich mehr Umsatz, wird allerdings gleichzeitig umsatzsteuerpflichtig. Das Business ist nicht vergleichbar mit den niedergelassenen Praxen, die medizinisch indizierte Leistungen anbietet.
Resümee
Ein Hausarzt bzw. eine Hausärztin mag allgemein zu den Besserverdienern gehören, aber er bzw. sie ist definitiv kein/e Spitzenverdiener:in, vor allem wenn man es mit der langen Ausbildung, der Verantwortung, der Arbeitsbelastung, der Arbeitszeit, der Bürokratie etc. in Zusammenhang sieht.
Andere Mediziner:innen-Gruppen verdienen sicherlich mehr, aber wenige zählen wirklich zu den Spitzenverdiener:innen in der Bundesrepublik, auch wenn es gerne anders dargestellt wird. Neid auf Ärzte und Ärztinnen kann man sich also gerne sparen.
*Gilt für das Jahr 2022
**Beitragsbemessungsgrenze 2022: 58.050 Euro
***Die Bezeichnung Schönheitschirurgie gibt es eigentlich gar nicht, ist nur der landläufige Begriff, es handelt sich um „plastische Chirurgie“.
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Interessanter Link zu Thema: https://pharma-fakten.de/news/weshalb-viele-arztpraxen-keine-neuen-patientinnen-mehr-aufnehmen/
Kein Witz, sondern eine Unverschämtheit: Pro Patient pro Quartal (!) bleiben einer Hausärztin/einem Hausarzt 17 Euro Verdienst. Davon muss natürlich Personal, Miete, Energiekosten, Arbeitsmaterial etc. bezahlt werden. Nur über Privatpatient:innen und Selbstzahlerleistungen lassen sich Mehreinnahmen generieren. Ein Frustjob.