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DIE AUTOREN

Karen Thiel
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als selbständige Pharma-Expertin für die Bereiche Medical-Marketing und Patient Support tätig. Ich betreue Biopharma, RX, OTC/OTX, Supplements und apothekenexklusive Kosmetik-Marken als Managerin oder Consultant. Ein besonderes Spezialgebiet von mir ist der Aufbau von Patienten-Support-Programmen. Auch Online/Social-Media-Aktivitäten im Healthcare-Bereich zählen zu meinen Kernkompetenzen. Meine Firma heißt KT Projekt. Mein Angebot sowie eine Referenz- und Projektliste finden Sie unter www.ktprojekt.de.

Dr. Martina Hänsel
In der Pharmabranche arbeite ich seit mehr als 20 Jahren und bin seit über acht Jahren freiberufliche Beraterin mit Schwerpunkt auf medizinisch-wissenschaftliche Beratung, Kommunikation und Interim Management. Außerdem absolviere ich einen Master-Studiengang Regulatory Affairs.

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Was hat die Ethikfalle mit der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zu tun?

Sehr viel. Während aktuell ein Shitstorm über die HNO-Ärztinnen/Ärzte hinwegfegt, weil sie die aufschiebbare Operation „Mandel entfernen“ bei Kindern als Protestaktion nutzen wollen, um auf die Absenkung der Vergütung für ambulantes Operieren aufmerksam zu machen, hatte und hat die Politik kein Problem damit die Gesundheitsbranche zu kommerzialisieren. Dagegen hält sich der Shitstorm in Grenzen.

Die Ethikfalle I

Wer einen Beruf im Gesundheitswesen ergriffen hat, sei es in der Pflege oder als Mediziner:in, befindet sich automatisch in einer sog. „Ethikfalle“. Man hat den Beruf wahrscheinlich deshalb gewählt, um Menschen zu helfen, aber auch um Geld zu verdienen.

Eine finanzielle Anerkennung der Leistung, die man für die Gesellschaft erbringt, spielt durchaus eine Rolle. Das Geldverdienen im Gesundheitswesen hat aber bei vielen Außenstehenden einen „falen Beigeschmack“, denn mit Heilen darf man eigentlich kein Geld verdienen. Und wenn man es trotzdem tut, dann hat es für viele Menschen etwas anrüchiges.

Müssen sich also die Beteiligten im Gesundheitswesen jede finanzielle Kürzung gefallen lassen? Sicherlich nicht! Daher haben wir Streiks von Pflegenden an Unikliniken erlebt. Wie aber sollen Mediziner:innen streiken wenn sie nicht Behandlungen und Operationen für eine Weile verweigern?

Worum geht es genau bei dem geplanten Streik?

„Für zwei der gängigsten Mandel-Operationen erhalten die Ärzte jetzt noch 105 und 170 Euro. Jan Löhler, 53, ist Bundesvorsitzender des Berufsverbands und betreibt selber eine HNO-Praxis in Bad Bramstedt, nördlich von Hamburg. Er rechnet vor, warum sich die OP für 105 Euro nicht lohne: Allein für die Miete eines Platzes im OP-Zentrum fielen 50 Euro an, dazu kämen 20 bis 25 Euro für Desinfektion, Personal und Material. Bleiben 30 Euro für eine OP, die 20 Minuten dauert. In dieser Zeit ruht natürlich der Praxisbetrieb der operierenden Ärzte.

… die Versorgung der Kinder sei deshalb gefährdet, weil es keine adäquate Vergütung für die OP gäbe. Schon in der Vergangenheit hätten Eltern oft monatelang auf einen OP-Termin für ihre Kinder warten müssen. Wenn nun noch weitere Operateure abspringen, weil sich der Eingriff nicht rechnet, drohe tatsächlich ‚ein Notstand bei den Kinderoperationen‘.“ (Quelle: Süddeutsche Zeitung)

Eine Mandeloperation bei Kindern lässt sich problemlos verschieben. Von daher wird der Streik keinem Kind schaden, aber macht sehr klar auf die Situation und die Folgen aufmerksam. Was würde passieren, wenn keine Ärztin/kein Arzt mehr ambulante Mandeloperationen durchführt, weil es sich nicht mehr rechnet?

In Deutschland sind Empörungen beliebt und mit Kindern lässt sich gut Betroffenheit generieren. Daher nutzt die Bildzeitung die Streikandrohung als Stimmungsmache, um mal wieder auf Ärztinnen und Ärzte einzudreschen, da die Berufsgruppe zu den sog. Reichen zählt. (Anmerkung: Wahrscheinlich gibt es unterschiedliche Ansichten über Reichtum, denn Reichtum wird für die Autorin anders definiert.)

Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens

Während sich Gesundheitsminister Lauterbauch über die Streikandrohung der HNO-Ärztinnen und Ärzte in der Bildzeitung echauffiert, scheint die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, die seit Jahren – auch mit Hilfe von Herrn Lauterbach als Ideengeber für SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt – stattfindet, unproblematisch zu sein. Das kann man anders sehen, weshalb wir an dieser Stelle den Ärztenachrichtendienst vom 24. September 2022 zitieren*:


„Das Gesundheitssystem sei in den vergangenen Jahren ’sturmreif gespart worden‘, kritisiert ein Vorstandsmitglied der Ärztekammer Berlin. Betriebswirtschaftler ohne medizinischen Sachverstand hätten daher in Praxen und Kliniken nichts zu suchen.

Kammer-Vorstand Werner: ‚Die von den Bundesländern seit Jahrzehnten unterlaufene duale Finanzierung der Krankenhäuser und die Blockade gegenüber erforderlichen Vergütungsreformen haben unser Gesundheitssystem sturmreif gespart.‘ (Bild: ©Ärztekammer)

Als ‘schleichendes Gift‘, beschreibt Dr. Thomas Werner die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens seit den 1980er-Jahren. ‘Mit der Einführung des DRG-Systems haben zuerst die Kliniker:innen die Konsequenzen einer zunehmenden Einschränkung ihrer freien Berufsausübung zu spüren bekommen‘, kritisiert der Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie und Mitglied im Vorstand der Ärztekammer Berlin, im Vorwort der aktuellen Ausgabe der ‘Berliner Ärzt:innen‘.

Nun verschärfe sich diese Entwicklung nochmals deutlich: Private Klinikketten steigerten kontinuierlich ihre Marktanteile und Gewinne, Private Equity und Fremdkapital kauften sich in die ambulante Medizin ein und monopolisierten ganze Fachbereiche und Versorgungsregionen.

Werner. ‘Die von den Bundesländern seit Jahrzehnten unterlaufene duale Finanzierung der Krankenhäuser und die Blockade gegenüber erforderlichen Vergütungsreformen haben unser Gesundheitssystem sturmreif gespart. Sukzessive zerlegt der Staat das System der Daseinsvorsorge.‘

Die Folgen für die Beschäftigten und Patienten sei fatal. Ein auf Mengenanreizen basierendes und auf Kostenersparnis getrimmtes System führe zu Fehlversorgung. ‘Die Industrialisierung von Behandlungsabläufen und der ständige Zwang zur wirtschaftlichen Optimierung zerstören die Basis einer den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Medizin. Und damit sowohl den Anspruch, den wir als Ärztinnen und Ärzte haben sollten, als auch den Spielraum, den wir hierzu in freier Berufsausübung brauchen‘, so Werner weiter.

Die Ärztinnen und Ärzte müssten konsequenter für ihre Interessen einstehen, fordert er: ‘Es ist unser Recht und unsere Pflicht, die in der Berufsordnung definierte Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung und Weisungsfreiheit von Nichtärzt:innen nicht nur lauter zu artikulieren, sondern auch gegenüber allen Trittbrettfahrern der Gesundheitswirtschaft durchzusetzen. Betriebswirtschaftler:innen ohne medizinischen Sachverstand sollten allenfalls Hilfskräfte sein, wenn wir unseren ethisch-moralischen Vorstellungen von einer menschengerechten, guten Patientenversorgung in allen Sektoren wieder Priorität einräumen.’“


Die Ethikfalle II

Da pharma-net-blog.de sich u. a. mit der Darstellung der pharmazeutischen Industrie in der Medienlandschaft beschäftigt, fehlt in diesem Blogbeitrag natürlich nicht der Hinweis, dass die Ethikfalle auch für die Pharmaindustrie gilt.

Mit Gesundheit und Leben darf angeblich kein Geld verdient werden. Denn natürlich machen Pharma-Unternehmen Gewinne und schütten Dividenden an ihre Aktionäre aus. Das Verständnis, dass ein Unternehmen nur dann wirtschaftlich überleben kann, wenn es Gewinne macht, hat sich anscheinend immer noch nicht rumgesprochen. Bei der klimaschädlichen Autoindustrie ist das übrigens gar kein Thema. Da freut man sich über hohe Gewinne und folglich hohe Dividenden. Auch wenn durch ein Auto mal ein/e Fußgänger:in oder ein/e Radfahrer:in plattgefahren wird.

Fazit

Ambulantes Operieren lohnt sich in vielen Fällen mittlerweile nicht mehr. 36 % der 600 durch den Ärztenachrichtendienst befragten Ärztinnen/Ärzte bieten ambulante Operationen den Patient:innen zuliebe weiterhin an**. Die Frage ist: Wie lange noch?

Die Gefahr des Preisdumpings im Gesundheitswesen scheint vielen Menschen, ob in Politik, den Medien oder der Gesellschaft, noch nicht klar zu sein. Wenn an beispielsweise Mandelentfernungen nicht mehr genug verdient wird, gibt es irgendwann keine mehr auf Kosten der GKV. Ganz einfach. Wer privat zahlt, wird in den Fällen im Vorteil sein.

Wohin Preisdumping führt, sieht man aktuell an den u. a. durch Rabattverträge verursachten ultraniedrigen Generikapreisen und den dadurch resultierenden Lieferengpässen.


Quellen

*Quelle: https://www.aend.de/article/219907 (hinter LogIn), 24.09.2022, 07:06, Autor/-in: mm,

**Quelle: https://www.aend.de/article/221589 – hinter LogIn


Links

Krankenkassen – zu viele, zu teuer, zu unverschämt

Die Vierte Gewalt – Medien und Journalist:innen in der Kritik

Verdienst von Mediziner:innen

Wir Patient:innen


Titelbild von Dominik Karch auf Pixabay

 

Ein Kommentar

  1. Hier ein guter Kommentar zu der Situation: „Dr. med. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa, erläuterte: „Die Schere zwischen den Preisen des Marktes bei Personalkosten und Materialeinkauf und dem Kassendiktat der Bezahlung ärztlicher Leistungen klafft immer weiter auseinander. Erst waren es die Kinderärzte, die der Menge der kleinen Patienten nicht mehr standhalten konnten und jetzt sind es die HNO-Ärzte bei denen wichtige Operationen schlicht nicht mehr zu leisten sind, da diese mehr kosten als an Kasseneinnahmen dem gegenüberstehen. Es ist wohlfeil, mit der ethischen Keule auf diese Arztgruppen einzuschlagen. Wer zu Recht hohe moralische und ethische Ansprüche an die Ärzteschaft stellt, muss diesen Ansprüchen nämlich auch selbst gerecht werden.“ Dies sei angesichts der fortgesetzten Budgetierung ärztlicher Leistungen durch die Politik und einer Bezahlung unterhalb der Kosten einer Leistung durch die Kassen nicht der Fall.“ Quelle: https://www.aend.de/article/221684

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