Es gibt weder Schul- noch Alternativmedizin. Es gibt nur Medizin oder Humbug. Entweder es gibt wissenschaftliche Beweise, dass es wirkt. Oder es wirkt nicht, dann ist es auch keine Medizin, sondern eine Glaubensfrage oder schlicht Geschwurbel.
Die Erfinder des Unterschieds von Alternativ- und Schulmedizin waren die Nazis, auch wenn der Begriff ‚Mediziner der Schule‘ vom Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, 1832 zum ersten Mal verwendet wurde.
Das Geschwurbel der Nazis
1933 verkündet Reichsärzteführer Gerhard Wagner, „dass Alternativmedizin der Schulmedizin häufig überlegen sei. Angestrebt werde eine ‚ganz neue, rein deutsche Heilkunst‘, wie Erwin Liek, 1926 fordert. Da beschwert er sich, dass ‚die maßlose Überschätzung des formalen Wissens‘ den Blick trübe. Das Problem sei vielmehr ‚die Nichtachtung seelischer Einflüsse seitens der exakten Forscher‘. So verliert denn auch der ‚Reichsbund für Homöopathie und Gesundheitspflege‘ keine Zeit und sendet im April 1933 eine Ergebenheitsadresse an Hitler und weil das Klima so günstig ist, warnen nur wenig später die ‚Reichsdeutschen Impfgegner‘ aus Berlin-Schöneberg, Gotenstraße 36, Mitgliedsbeitrag 1,50 Reichsmark, vierteljährlich zu entrichten, mit großem Tamtam vor der Pockenschutzimpfung, ‚Schutz‘ dabei in Anführungszeichen gesetzt. Benutzt wird das Facebook dieser Zeit: ein Flugblatt.“ (Kohlhöfer, S. 423)
Die sog. Schulmedizin sei jüdische Medizin lärmten die Nazis. „Es gehe nicht an, ‚dass das gesundheitliche Schicksal unserer Kinder und unserer Volkes den Händen naturferner und darum verirrter Medizin anvertraut bleibe‘. Wie solche Ärzte aussehen, zeigt wenig später das Nazi-Hetzblatt ‚Stürmer‘ in einer Karikatur. Dort steht, vor einem Plakat mit der Aufschrift ‚Aufforderung zur Impfung‘, ein dicker Mann mit Hakennase, hämisch lächelnd, während er dem Kind einer blonden Mutter eine Spritze in den Arm drückt. Und damit das auch wirklich niemand missversteht, sagt sie: ‚Es ist mir sonderbar zu Mut – Gift und Jud‘ tut selten gut‘. Die Homöopathie genießt erstmals in ihrer Geschichte staatliche Unterstützung. Schirmherr des ‚Internationalen Homöopathischen Kongresses‘ 1937 in Berlin ist Rudolf Heß.“ (Kohlhöfer, S. 424)
Wie immer sehr inkonsequent
„Und obwohl die Rassenideologie der Nationalsozialisten gegen eine Impfung spricht, weil ja angeblich nur durch Abhärtung Veredlung entsteht, die reine Natur, der ganz Quatsch, wird Ablehnung der Impfung keine offizielle Politik. Schließlich muss die Wehrmacht, den kommenden Krieg im Hinterkopf, durchgeimpft werden, weil im Osten nicht nur der Russe lauert, sondern auch das Fleckfieber.“ (Kohlhöfer, S. 424)
Inkonsequent ist auch die „schulmedizinische“ Forschung von SS-Lagerarzt Josef Mengele. Er und einige seiner Kollegen führten Menschenversuche an Häftlingen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern durch.
Disclaimer
„Nur damit es mal erwähnt ist, der Vollständigkeit halber und bevor das jemand missversteht: Mit Sicherheit sind Impfgegner nicht per se Nazis, natürlich nicht, und das soll auch so nicht verstanden werden, und ganz bestimmt wollen auch nur ganz wenige Homöopathen Polen erobern. Aber die Attitüde hat eine Geschichte. Und die sollte man sich ansehen, bevor man in dem Chor mitsingt.“ (Kohlhöfer, S. 424)
Quellen:
Kohlhöfer, Philipp: Pandemien; 2021; S. Fischer, S. 423 und 424.
https://medwatch.de/2022/01/27/schulmedizin-alternativmedizin-begriff-quatsch/
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