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DIE AUTOREN

Karen Thiel
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als selbständige Pharma-Expertin für die Bereiche Medical-Marketing und Patient Support tätig. Ich betreue Biopharma, RX, OTC/OTX, Supplements und apothekenexklusive Kosmetik-Marken als Managerin oder Consultant. Ein besonderes Spezialgebiet von mir ist der Aufbau von Patienten-Support-Programmen. Auch Online/Social-Media-Aktivitäten im Healthcare-Bereich zählen zu meinen Kernkompetenzen. Meine Firma heißt KT Projekt. Mein Angebot sowie eine Referenz- und Projektliste finden Sie unter www.ktprojekt.de.
Dr. Martina Hänsel
In der Pharmabranche arbeite ich seit mehr als 20 Jahren und bin seit über acht Jahren freiberufliche Beraterin mit Schwerpunkt auf medizinisch-wissenschaftliche Beratung, Kommunikation und Interim Management. Außerdem absolviere ich einen Master-Studiengang Regulatory Affairs.

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Die Vierte Gewalt – Medien und Journalist:innen in der Kritik

Viel wurde bereits über das Buch „Die Vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer geschrieben und in Talkrunden durchgekaut. Vor allem Medien haben das Buch stark kritisiert, sind sie es doch, die in den Focus und in die Kritik geraten sind.

In dem Buch sind viele Mechanismen dargestellt, die die Medienlandschaft heutzutage ausmachen und die auch wir in diesem Blog schon häufig kritisieren, u. a. das Clickbaiting, die Einseitigkeit der Berichterstattung und die sog. Storytelling-Dramaturgie.

Der Aufhänger des Buches, nämlich die Waffenlieferungen an die Ukraine, spielt nicht die Hauptrolle in „Die Vierte Gewalt“, es sind die Medienmechanismen, die aufgezeigt und kritisiert werden. Bzgl. der Waffenlieferungen kann man durchaus konträrer Meinung sein, es ist aber kein Grund das Buch nicht zu lesen, einfach das Kapitel „Der Brief“ überschlagen und später starten.

Das Buch ist in relativ kurzer Zeit geschrieben worden, was wahrscheinlich erklärt, weshalb einige Widersprüche nicht weglektoriert wurden und manche Formulierungen zwar schmissig und geschliffen sind, aber dann doch Behauptungen und ja, sogar Beleidigungen sind. Aber machen Sie sich gerne selbst ein Bild. Ein paar Highlights aus dem Buch finden Sie im Folgenden.

Leitmedien vs. Direktmedien

Der Vorwurf von Precht und Welzer ist, dass die sog. Leitmedien, Einfluss auf die Politik ausüben möchten und die Republik von einer Demokratie in eine „Mediokratie“ (Einleitung, S. 12 eBook) verwandeln. Der Einfluss, inklusive der Druck der Medien auf die Politik, steigt und treibt die Politik vor sich her.

Was allerdings Leitmedien sind, muss man sich selbst herleiten, es sind vermutlich Zeitungen, wie FAZ, Welt, Zeit, Süddeutsche, Zeitschriften wie der Spiegel und der öffentlich-rechtliche Rundfunk bzw. das entsprechende Fernsehen gemeint.

Die Leitmedien grenzen die Autoren von den Direktmedien, z. B. Facebook, Twitter, Blogs und Online-Magazinen/Zeitungen, die von Ex-Journalisten betrieben werden, ab. Hier hat man „Tichy’s Einblick“, „ach gut“, „reitschuster.de“ u. ä. direkt vor Augen, sie werden aber in dem Buch selbst nicht namentlich genannt. Die Direktmedien bieten den Leser:innen kostenlose Informationen, ohne Qualitätsanspruch jedoch. So treiben die Direktmedien die Leitmedien vor sich her.

„Aber durch die Direktmedien ist die Zahl von Skandalthemen größer und die Hemmschwellen sind niedriger geworden. So wird die Kultur der Assholery nicht mehr nur in den digitalen Kanälen der Dauererregten gepflegt – ihr Ungeist ist längst aus den Direktmedien entwichen und zuhauf in jene Leitmedien eingewandert, die bislang für sich in Anspruch nehmen, für Qualität zu stehen.“ (Einleitung, S. 14 eBook)

Durch die Direktmedien haben auch die Leitmedien an Qualität verloren und beide jagen nach Klicks und Reichweite statt nach Qualität und Information.

„Kein Zweifel: Das Internet hat das traditionelle Geschäftsmodell der Printmedien erst zerstört und dann verändert. Der Spardruck der Zeitungen, der immer noch exisitiert, …, korreliert direkt mit der Internetnutzung. Die Zahl der Zeitungsleser ist gesunken, Online gleicht das zunehmend aus.“ (Die große Ansteckung, S. 241 eBook)

Neues und treffendes Wort: Verzweiseitigung

Verzweiseitigung bedeutet verhärtete Seiten, also nur schwarz und weiß, keine Zwischentöne. Je nach Meinung wird man direkt in eine Ecke gesteckt, je nach Aussage ist man rechts oder links. Und genau so empfindet man es auch, deshalb kommt das Gefühl auf, man könne ja nichts mehr sagen, was natürlich faktisch nicht richtig ist. Die Leitmedien fördern dieses Schwarz-Weiß-Denken, indem sie Meinungen in Grautönen direkt in eine der beiden Ecken schieben, so beispielsweise auch die Meinung der Autoren.

Auf der anderen Seite: Extreme Zuspitzung, Polarisierung und die Rolle als vermeintlicher Anti-Mainstream einzunehmen, ist Trend bei einigen Medien, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Das sieht man sehr gut bei der NZZ, dem Cicero und der Welt. Man positioniert sich als „außerleitmediale Opposition“ und fördert dadurch schlicht und ergreifend den Erregungsjournalismus. (Verzweiseitigung, S. 247-8 eBook) Dazu ein paar Zitate:

  • „Die ungehörte Meinung des Volkes bricht vermeintlich Bahn und lizensiert persönliche Angriffe und Pöbelei. … als Mitglied des journalistischen Establishments ist man eigentlich zu einer reflektierenden Distanz verpflichtet, die hier völlig fehlt.“ (Verzweiseitigung, S. 249 eBook)
  • „Was zu kurz kommt, ist der Erkenntnisgewinn, also die Rückbindung der Berichterstattung an die Fragen: Worum geht es eigentlich ganz genau? Was wissen wir darüber? Und was sollte man wissen, um sich ein Urteil bilden zu können? Was denken andere darüber, und was sind ihre (nicht finsteren, verschwurbelten oder zynischen) Motive? Und nicht zuletzt: Ist das eigentlich ein Thema?“ (Verzweiseitigung, S. 255 eBook)
  • „Stets stehen zwei Schablonen bereit, um die eigene Meinung einzusortieren und einzubetonieren.“ (Verzweiseitigung, S. 251 eBook)
  • „In den Leitmedien sind diese mehr als fünfzig Schattierungen von Grau nicht angemessen repräsentiert. Oft fehlen sie nicht nur in den Kommentaren und Berichten, sondern man untersellt fälschlicherweise routiniert eine ‚gespaltene Gesellschaft‘.“ (Verzweiseitigung, S. 253 eBook)
  • „So bleibt von der fiebernden Berichterstattung, etwa zur Pandemie, oft vor allem die Infodemie in Erinnerung, nicht aber substanzieller Inhalt.“ (Verzweiseitigung, S. 267 eBook)

Für ihre Aussagen liefern die Autoren einige aussagekräftige Studien und nennen neben den Waffenlieferungsdiskussion auch Beispiele während der Coronapandemie und der Flüchtlingskrise. Die drei wichtigsten Aufregerthemen in den letzten Jahren. Und sie treffen den Nagel auf den Kopf, wenn sie sagen, dass sich viele Menschen gar nicht mehr in den Medien repräsentiert fühlen. Je kompromissloser die Meinung und Haltung der Bevölkerung von den Journalist:innen ausgegrenzt werden, desto stärker verhärten sich die Ausgegrenzten in ihrer Meinung. (Erregungsökonomie, S. 304 eBook)

Erregungsjournalismus

Klickzahlen, also Quantität statt Qualität und Clickbaiting sind hier das Stichwort:

„Gar nicht zu reden von den Facebook-Postings vieler Leitmedien, bei denen differenzierte Zusammenhänge unter überspitzte Überschriften gestellt werden.“ (Verzweiseitigung, S. 266 eBook)

Und die möglicherweise ganz harmlosen und vielleicht sogar informativen Inhalten liegen dann hinter einer Bezahlschranke. Da aber sowieso nur wenige bezahlen und es für viele reicht die Überschrift zu teilen, kam es beispielsweise während der Pandemie zu einer überproportionalen Aufregung, die die Besonnen gar nicht mehr in den Griff bekamen. Und auch während der Pandemie trieben die Medien die Politik. Warum sind die Schulen nicht geschlossen? Geht ja gar nicht. Etwas später hieß es dann, wie man Schulen schließen könne, geht ja gar nicht. Wir können uns sicherlich alle noch gut dran erinnern. Dasselbe mit Impfpflicht, mit Maskentragen, mit Corona-App etc. pp.

„Bekanntermaßen bildet die Empörungskultur der Medien jene in der Bevölkerung nicht schlichtweg ab, sondern erzeugt sie mit.“ (Einleitung, S. 21 eBook)

Laut den Autoren Precht und Welzer begründen die Medien ihre Art und Weise der Infodemie mit dem Willen des Lesers. Aber ist das wirklich so? Kann man nicht festhalten:

„Die Redaktionen liefern, was die größte Reichweite – gemessen in Klicks – verspricht, und die geneigten Leserinnen und Leser bekommen mehr von dem, worauf sie konditioniert werden.“ (Die große Ansteckung, S. 223, eBook)

Genauso ist es.

Journalist:innenschulen liefern Schablonen

In diesem Blog oft kritisiert, das Konzept „pars pro toto“, also ein Beispiel soll für das Ganze stehen. Stimmt aber gerade bei medizinischen Themen nicht, da kommt es u. a. auf Signifikanz an. Es ist immer dasselbe Schema: Zu Beginn des Beitrags wird eine Jammergestalt, die entweder unter einem Medikament, einem Medizinprodukt oder einer Impfung dies und das an Nebenwirkungen o. ä. festgestellt, portraitiert. Diese Story emotionalisiert und erzeugt Betroffenheit. Die folgende Argumentationskette im Bericht gegen das Medikament, gegen die pharmazeutische Industrie oder gegen sonst etwas trifft dann auf die/den emotionalisierte/n Leser:in oder Zuschauer:in. Somit wird Stimmung erzeugt, aber keine wertneutrale Information geliefert.

„… die Reportagen (sollten) nach dem Erzählmuster und der Montagetechnik erfolgreicher Spielfilme verfasst werden, damit das Publikum fasziniert sei und bei der Stange bleibe.“ (Erregungsökonomie, S. 310 eBook)

Journalist:innenschulen lehren diesen Aufbau. Es hat mittlerweile nicht nur einen unglaublichen Gähnfaktor, es fördert auch die öffentliche Erregung und lässt Dialektik meist außen vor. Ein schmissige Clickbaiting-Headline oben drüber und schon hat das Netz wieder einen Aufreger. Aber es klickt und klingelt in der Kasse.

War früher alles besser?

Die Autoren meinen ja, pharma-net-blog meint nein. In den 80er und 90er Jahren waren die Medien zementiert. Links-liberal Gesinnte sahen die Nachrichten in der ARD, lasen Süddeutsche, Die Zeit, die Frankfurter Rundschau, den Spiegel und einige noch die TAZ. Konservative lasen die Welt, die FAZ, den Focus, die WirtschaftsWoche und sahen Nachrichten im ZDF. Das hat sich – zum Glück – völlig aufgelöst. Wunderbar, wenn, ja wenn nicht die „Erregungsökonomie“ das Zepter übernommen hätte.

Diskussionen finden heute häufig im Netz statt, z. B. mittels Blogs, Facebook oder Twitter. Endlich kann man den Medien widersprechen und eine Gegenmeinung posten. Die Schattenseiten davon kennen wir, Stichwort Hate-Speech. Zumindest gab es vor der Internet-Zeit keine russischen Propaganda-Posts, die ihre Wirkung bis in die politische Mitte entfalten. Das war wirklich besser.

Gerade in Sachen pharmazeutische Industrie war früher nichts besser. Es gab statt einer „Verzweiseitigung“ eine einseitige Sicht. Zwar ist es grundsätzlich richtig, Mißstände anzuprangern und es war gut, dass aufgrund aufgedeckter Skandale Konsequenzen gezogen wurden, z. B. der FSA-Kodex, die Offenlegung von allen Studienergebnissen, also auch die mit negativem Ausgang. Die Folgen aber der einseitigen Berichterstattung damals und heute hat man gerade in der Coronapandemie gemerkt (s. weitere Blogbeiträge unter Links).

Von daher kann man den Untertitel des Buches „Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ umwandeln in „Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird und sich dann hartnäckig hält – auch wenn die Fakten sich gewandelt haben“.

Lösungsvorschläge inklusive

Nach der umfänglichen Analyse, von der wir nur Ausschnitte – passend zu unserem pharma-net-blog – ausgewählt haben, bieten die Autoren aber durchaus einen diskutierbaren Lösungsvorschlag. Sie fordern einen konstruktiven Journalismus, der Wahrheit verpflichtet, mit gründlichen Recherchen und mit einer offenen Diskussionskultur. Ein Beispiel können dialektische Artikel sein, in denen sich alle Gruppen Gesellschaft repräsentiert findet und so Argumente weitgehend unemotional ausgetauscht werden.

Die privaten Medien müssen wie jedes Unternehmen das Augenmerk auf die Umsätze bzw. Gewinne legen. Die schaffen sie vor allem mit Clickbaiting, um auf noch mehr Reichweite zu kommen. Das ist kontraproduktiv für einen guten und offenen Journalismus, den eine gut funktionierende Demokratie braucht. Daher können sich die Autoren eine öffentliche Finanzierung – analog des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – vorstellen.

Allerdings, und dies wieder aus Perspektive von pharma-net-blog gesprochen, hat das nur dann Sinn, wenn Journalist:innen offen sind und nicht alle einer Meinung hinterherhecheln. Über die gleiche Meinung der Journalist:innen sprechen Precht und Welzer in dem Kapitel „Auf den Cursor kommt es an!“. Wir übertragen es auf unser Thema, da hat sich unter Journalist:innen die Meinung verbreitet: Pharma ist grundsätzlich schlecht (stimmt nicht), Arzneimittel zu teuer (stimmt ebenfalls nicht), Ärzte/Ärztinnen und Apotheker:innen zu reich (stimmt auch nicht) und Patient:innen immer Opfer (stimmt absolut nicht). Also würde eine nicht-private Medienlandschaft für unser Thema möglicherweise keinen Unterschied machen.

Kritik an der Kritik

Besonders Übermedien, die sich als medienkritisches Portal bezeichnen, zerreißen das Buch von Precht und Welzer. Es sei schlampig und unsauber recherchiert. In der Tat, an einigen Stellen ist nicht sauber gearbeitet worden und mit etwas Pickerei kann man manche Passagen auseinandernehmen und Widersprüche im Buch darlegen. Stimmt. Aber die Kernaussage des Buches über die aktuelle Medienlandschaft bleibt davon unberührt. Deshalb ist die Kritik an der Kritik auch zu kritisieren.

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Ein Kommentar

  1. Hier ein sehr schönes Beispiel für Clickbaiting, was die Website „Volksverpetzer“ aufzeigt: https://www.volksverpetzer.de/faktencheck/welt-blackout-panik-falsche-definition/

    „Die Welt“ schürt Angst vor Blackouts. Unabhängig davon, ob es welche geben wird oder nicht, nimmt „Die Welt“ eine ungenaue Aussage im Interview mit Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler, als Headline. Natürlich dahinter eine Paywall. Das Interview selbst soll gemäßigt sein.

    Es ist eines der vielen Beispiele, wie die Medien u. a. durch Clickbaiting Stimmung machen, Ängste schüren und die Meinungen in der Bevölkerung aufheizen. Ein Ärgernis!

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