Die Coronakrise hat es offenbart, Verschwörungserzählungen fallen auf fruchtbaren Boden. Das Schlimme dabei: Sie sind schwer aus der Welt zu schaffen, es bleibt immer etwas hängen. Während der Coronakrise ist dies noch einmal so richtig offensichtlich geworden. Und nicht ganz unschuldig sind die Medien.
Grundregeln für das Widerlegen
Stephan Lewandowsky und John Cook von der Universität Queensland, Australien, haben bereits 2011 Regeln aufgestellt, wie man Gerüchte am besten widerlegt. Auf Deutsch findet man den Artikel unter folgendem Link: https://skepticalscience.com/docs/Debunking_Handbook_German.pdf
Die drei Grundlegeln lauten:
- Die korrekten Fakten betonen, nicht die Falschinformation. Denn Wiederholungen verstärken die Gerüchte.
- Wenn ein Gerücht wiederholt wird, dann immer mit dem Hinweis, dass die Aussage falsch ist. Dadurch kombiniert das Gehirn den Zusammenhang Gerücht → Falschaussage.
- Wissenschaftliche Fakten sind oft kompliziert und lassen sich nicht so leicht merken. Am besten behält der Mensch Bilder, daher ist eine Widerlegung mittels Grafik, Schaubild oder einer optischen Erklärung am wirkungsvollsten.
Bestätigung der eigenen Ansichten
Bei Facebook lässt es sich gut beobachten: Menschen mit fest verwurzelten Ansichten wählen die Facebookseiten aus, die ihre eigene Ansicht untermauern. Und das zementiert die Verschwörungsideologie noch weiter. Gleichzeitig reagieren sie auf Facebookeinträge, die nicht ihre Meinung untermauern, aggressiv. So schreiben Lewandrowsy und Cook:
„Bei denjenigen, die sehr in ihren Ansichten verfestigt sind, kann das Treffen auf Gegenargumente dazu führen, dass sie ihre Ansichten noch verstärken.“
Der Wissenschaftsdiskurs und die Medien
Wissenschaftliche Erkenntnisse verändern sich quasi täglich. Neue Forschungen, Untersuchungen und Berechnungen ergeben neue Ergebnisse. Das ist normal. Für viele Nicht-Wissenschaftler ist dieser Diskurs aber nicht nachvollziehbar. Es löst Unsicherheit aus und daher wünschen sich viele Menschen einfache Erklärungen, die verständlich sind und sich nicht mehr verändern.
Gerade das immer noch ziemlich unbekannte Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein Beispiel. Die Wissenschaftler sind sich noch nicht über das Virus einig und diskutieren. Völlig normal, völlig zurecht. Leider debatieren sie aber nicht auf einem Kongress, wie sonst üblich, sondern in den Medien. Sie werden von den Medien instrumentalisiert. Das eigene Ego der Wissenschaftler spielt dabei sicherlich eine Rolle.
Dadurch ist es auf Medienebene zu einer Schlammschlacht gekommen, die für viele Bürger nicht nachvollziehbar ist. Sie fühlen sich bestärkt in ihrem Vorurteil gegenüber der Wissenschaft. Gerade das Bashing des Gesundheitssektors (pharmazeutische Industrie, Ärzte, Krankenhäuser, wissenschaftliche Forschung), wie es seit Jahrzehnten auch von „seriösen“ Medien üblich ist, hat seinen Teil zu der Skepsis beigetragen. Das haben wir in einem Blogbeitrag 2019 schon einmal diskutiert: Die Geister, die die Medien riefen – Mangelndes Vertrauen in die Medizin. Die Analyse stimmt auch heute noch.
Experten ohne Expertise
Und noch etwas haben wir während der Coronakrise lernen können. Viele Menschen, die sich zu Wort melden und ein Urteil abgeben, sind selbsternannte Experten. So haben sich auch viele Ärzte an der Diskussion beteiligt, ob und wie gefährlich das SARS-CoV-2 ist. Das hört sich nach Fachkompetenz an. Ist es aber nicht. Geschätzt 99 % der Ärzte, die sich zum Thema Coronavirus gemeldet haben, waren keine Virologen. Die sind in Deutschland rar gesät, wie der Bonner Virologe Dr. Hendrik Streeck in der Rheinischen Post vom 3. Juni 2020 verrät:
„Von uns gibt es nicht so viele. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum wir so im Fokus stehen.“
Ein Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie ist im Labor tätig. Mikroorganismen, wie Bakterien, Viren, Pilze und Protozooen, die nur im Mikroskop sichtbar sind und im menschlichen Körper Krankheiten auslösen können, sind sein Spezialgebiet. Der Facharzt kann sich noch weiter spezialisieren, nämlich auf eine Gruppe der Mikroorganismen, z. B. Viren. Und darunter ist noch eine weitere Eingrenzung des Forschungsgebietes möglich, z. B. auf die Familie der Coronaviridae, zu der auch die Gattung der Betacoronaviren mit den Arten SARS-CoV-1 und -2 sowie MERS-CoV gehören. Der Virologe Dr. Christian Drosten hat sich beispielsweise auf die Coronaviridae spezialisiert.
Viele Forscher, die nicht nur universitär, sondern auch für die Industrie an Mikroorganismen arbeiten, sind Biologen, Tiermediziner oder kommen aus verwandten Naturwissenschaften.
Gleichzeitig sind diese Forscher aber wiederum keine Epidemiologen oder Hygieniker und haben möglicherweise auch nicht das Fachwissen von Aerosolphysik, was beim Coronavirus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine tragende Rolle spielt. Daher ist grundsätzlich Arbeit im Team gefragt!
Ergo: Nicht überall wo Arzt drauf steht, ist auch naturwissenschaftliches Fachwissen drin, um es mal salopp und provokativ zu sagen. Und umgekehrt hat nicht jede naturwissenschaftliche Erkenntnis praktische ärztliche Konsequenzen bzgl. einer Krankheit oder Therapie. Also Augen auf wem man welche Aussagen glaubt.
Weitere Blogbeiträge zu dem Thema Coronavirus:
Der goldene Mittelweg – nicht langweilig, sondern erfolgreich
Kommentar zu vielen Facebook-Posts
Die Zukurzgekommenen – Wer brüllt lauter?
Wie Wissenschaft wieder in den Hintergrund tritt
Covid-19-Patienten auf der Intensivstation – Was bedeutet das?
Dr. Wolfgang Wodarg und die Coronakrise
Titelbild: © Karen Thiel, privates Bild mit iPhone X
Eine Analyse von Spektrum der Wissenschaft mit dem Titel „Ignoranz: Warum manche Menschen die Fakten leugnen“ findet sich unter dem Link. Passt zum im Blog diskutierten Thema.
https://www.spektrum.de/news/ignoranz-warum-manche-menschen-die-fakten-leugnen/1838431?utm_term=Autofeed&utm_medium=Social&utm_source=Facebook&fbclid=IwAR1npGMJfNp_MPnawJPPep-IqNlXUGfbsTd0Le6ggForn6ZpZWxxKFWtuDI#Echobox=1615161263