Die neue Bundesregierung, vermutlich eine Ampel-Koalition aus Grünen, FDP und SPD, wird das bereits existierende AÜGesetz sicherlich nicht zurücknehmen. Da die SPD im Bündnis beteiligt ist, wird es möglicherweise sogar noch verschärft.
Die Hoffnungen der letzten Legislaturperiode, dass man aufgrund der vielen Proteste von Selbständigen ein Einsehen hat und dass nach dem Weggang von Andrea Nahles das Gesetz entschärft würde, waren weit gefehlt!
Und nun wird gemunkelt, Andrea Nahles käme sogar zurück ins Kabinett. Eine ungute Vorstellung. Normalerweise äußern wir uns in diesem Blog nicht politisch in die eine oder andere Richtung, aber nach dem Wahlabend gingen bei der Autorin die Warnglocken an. Ob die FDP reichen wird, um weiteres Unheil zu verhindern?
Arbeitsverbot für Interim-Manager:innen
Interim-Manager:innen dürfen – genau genommen – bereits jetzt schon nicht mehr als Freiberufler:innen arbeiten, sondern müssen in eine Arbeitnehmerüberlassung oder sich eine andere Tätigkeit suchen. Wir wiesen in vielen vorherigen Blogbeiträgen darauf hin (Liste unten), dass Interim-Manager:innen in den meisten Fällen freiwillig als Selbständige arbeiten und nicht vom Staat betreut werden möchten. Für viele kommt – allein schon aus steuerlichen Gründen – ein ständiger Wechsel von Selbständigkeit und Festanstellung auf Zeit (Arbeitnehmenüberlassung) nicht in Frage.
Bestrafung erfahren in den meisten Fällen nicht die Freiberufler:innen, sondern die Unternehmen, die angeblich Scheinselbständige beschäftigen. Deshalb sind viele Firmen dazu übergegangen, Vakanzen nur noch mit Zeitverträgen als Arbeitnehmerüberlassung zu überbrücken.
Nachteile auch für Unternehmen
Das bedeutet auch eine geringere Flexibilität für die Unternehmen, denn diese Zeitarbeiter dürfen nur 18 Monate in einem Unternehmen arbeiten, dann müssen sie in Festanstellung übernommen werden oder gehen.
Es gibt aber Projekte, die beispielsweise eine Agentur mit einem Auftraggeber vereinbart, die flexibel laufen. Bei Erfolg läuft das Projekt länger, kündigt der Kunde, ist das Projekt früher beendet. Festangestellte müssen dann von der Agentur entlassen werden, was bekanntlich nicht so einfach ist. Mit Zeitarbeitskräften und mit Interim-Manager:innen in höheren Positionen, war das kein Problem. Beide Seiten waren so maximal flexibel. Das fällt nun weg. Ärgerlich ist natürlich, dass einige Unternehmen das schamlos im Niedriglohnsektor ausgenutzt haben, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Für den Niedriglohnsektor ist Selbständigkeit tatsächlich nicht gedacht.
Problem ist völlig unbekannt
Die erläuterte Problematik hat sich in der Bevölkerung nicht herum gesprochen. Denn egal wem man erzählt, dass man seinen freiwillig gewählten Beruf des Interim-Managers/der Interim-Managerin kaum noch ausüben kann, ist der oder die Gesprächspartner:in überrascht. Aber von Mitleid weit entfernt, stehen die Interim-Manager:innen natürlich für satte Tagessätze. Richtig, deshalb hat man den Weg ja auch gewählt, muss aber davon die vollen Krankenkassenbeiträge, die Rente und die Unternehmenskosten tragen. Deshalb sind hohe Tagessätze nicht das, was man am Ende verdient.
Es gibt außerdem für Selbständige kein soziales Netz bei Krankheit oder Auftragslosigkeit. Auch die Coronahilfen halfen, je nach Branche, bei Interim- Managerinnen selten vollständig. Es gab hier und da ein Fixkostenzuschuss, aber einen Beitrag zum Lebensunterhalt häufig nicht.
All das ist für Angestellte schwer nachzuvollziehen, daher erfährt man als Freelancer Solidarität von Angestellten definitiv nicht.
Aussagen vor der Wahl
Wer als Freelancer oder Selbständiger am 26. September 2021 SPD gewählt hat, war mit dem Klammerbeutel gepudert. Man muss es so deutlich sagen. Der VGSD hat vor der Wahl eine Umfrage gestartet, was die Parteien von wichtigen Fragen halten. Der erste Wahlprüfstein galt dem Thema Scheinselbständigkeit. Die SPD gab dazu folgendes knappes Statement:
„Wir wollen, dass der Arbeitnehmerstatus einfacher geklärt werden kann. Dazu gehört auch, die Rechte der Betriebsräte beim Einsatz von „Fremdpersonal“ im Arbeitsprozess weiter zu stärken.“
Ein Witz! Alle anderen Parteien gaben durchaus vernünftige Aussagen zu Protokoll, wobei die FDP ganz klar die Stimme der Selbständigen vertrat. Aber natürlich lässt sich auch mit den Grünen und der CDU ein Weg finden, so dass beide Seiten zufrieden sind. Leider ist es nun zu spät.
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Berufsverbot für Freiberufler?
Brand Eins Titelseite „Risikogruppe: Freiberufler“
Update: Noch eine Studie zum AÜGesetz
Freiberufler werden durch Nahles AÜGesetz ausgebremst
Titelbild: ©KT Projekt
Das Gesetz muss gar nicht verschäft werden, es reicht aus, um freien Beratern und Interim-Managern den Garaus zu machen. Das kann man aus dem Video „BSG-Urteile zur Scheinselbstständigkeit: Erst die Ärzte, dann die IT-ler, schließlich wir alle?“ vom VGSD (Verein der Gründer und Selbständigen in Deutschland) folgern: https://vimeo.com/655288760/b7d7931a72
Und um einen Song aus den 70er Jahren zu zitieren: „Schuld daran ist nur die SPD“. Genauso ist es. Sowohl diese Partei als auch die Sozialgerichte haben noch ein Denken wie aus der vorindustriellen Zeit. Sie kennen überhaupt nicht die neue digitale und unabhängige Arbeitswelt, die die Wünsche nach Flexibilität und Selbstbestimmung bedient. In ihrer Gedankenwelt ist ein Unternehmer noch ein Industrieunternehmen mit Maschinen und Angestellten. Dass man heute nur noch ein iPad und ein Gehirn benötigt, um erfolgreicher Unternehmen bzw. Berater/Experte zu sein, kommt in der Vorstellung nicht vor. Politik und Gerichte sind von der Wirklichkeit ganz weit entfernt. Es wird von „Schutz vor Ausbeutung“ gesprochen, aber die neue Arbeitswelt wird freiwillig gewählt, die man schützen möchte, die sind von dem Gesetz gar nicht betroffen, sondern leben weiter prekär.
In dem Video-Beitrag wird auch darauf hingewiesen, wie falsch die Einschätzung während der Corona-Pandemie war. Während Industrieunternehmen problemlos Corona-Hilfen bekamen, wurden Solo-Selbständige auf Hartz-IV verwiesen. Nur: Das bekamen sie nicht, da sie dafür ihre Lebensversicherungen erst hätten aufbrauchen müssen, die aber für eine Rente abgeschlossen wurden. Der Staat unterstellt aber auf der anderen Seite, dass Solo-Selbständige für ihre Rente nicht vorsorgen. Hä? Viele Geschäftsinhaber können in der Tat nicht für ihre Rente vorsorgen, da ihre Geschäftsbasis sehr knapp kalkuliert ist, sie verlassen sich auf Grundrente, die ja tatsächlich geplant ist. Diese Gruppe gilt aber prolemlos als Selbständige und Unternehmer. Dass da etwas schief in der Gedankenwelt bei Politikern, Beamten und Richtern ist, müsste jetzt jedem langsam einleuchten. Sehr unsozial!
An dieser Befragung habe ich selbst teilgenommen.
https://info.deutscheinterim.com/hubfs/di_Trend_Scheinselbstaendigkeit-1.pdf?utm_campaign=Newsletter%20Poolmitglieder&utm_medium=email&_hsmi=189950061&_hsenc=p2ANqtz–EsTObRm8zH8tH4_3PC0Yp8hLW5bovMa2uG1cBGMTtOQGGruHvgqKd07XDhJutRkzE9x0x0Eb25ThTvW1PtAX1jFovng&utm_content=189950061&utm_source=hs_email
Dank Gelb-Grün scheint es für uns Selbständige nicht ganz so schlimm wie befürchtet zu werden. Eine Zusammenfassung über die Pläne finden Sie unter diesem Link: https://www.vgsd.de/unter-der-lupe-was-bringt-der-koalitionsvertrag-uns-selbststaendigen/?utm_source=VGSD+e.V.+Newsletter&utm_campaign=e8df54b3da-koalitionsvertrag_211126&utm_medium=email&utm_term=0_57e5bd8ca5-e8df54b3da-60259129
Es bleibt natürlich abzuwarten, ob wir uns nicht zu früh freuen.
Wie das AÜ-Gesetz Wachstum gefährdet kann man in den Artikel lesen: https://www.vgsd.de/ifo-studie-zeigt-zu-wenig-selbststaendige-wissensarbeiter-deutschland-verschenkt-wachstum/?utm_source=VGSD+e.V.+Newsletter&utm_campaign=2f6f474bec-ifo-Studie_Wissensarbeiter_211111&utm_medium=email&utm_term=0_57e5bd8ca5-2f6f474bec-60259129
Die Studie des ifo-Instituts ist unter folgendem Link als PDF abrufbar: https://www.ifo.de/DocDL/ifo_Forschungsberichte_125_Innovationsstandort-Deutschland.pdf