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DIE AUTOREN

Karen Thiel
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als selbständige Pharma-Expertin für die Bereiche Medical-Marketing und Patient Support tätig. Ich betreue Biopharma, RX, OTC/OTX, Supplements und apothekenexklusive Kosmetik-Marken als Managerin oder Consultant. Ein besonderes Spezialgebiet von mir ist der Aufbau von Patienten-Support-Programmen. Auch Online/Social-Media-Aktivitäten im Healthcare-Bereich zählen zu meinen Kernkompetenzen. Meine Firma heißt KT Projekt. Mein Angebot sowie eine Referenz- und Projektliste finden Sie unter www.ktprojekt.de.
Dr. Martina Hänsel
In der Pharmabranche arbeite ich seit mehr als 20 Jahren und bin seit über acht Jahren freiberufliche Beraterin mit Schwerpunkt auf medizinisch-wissenschaftliche Beratung, Kommunikation und Interim Management. Außerdem absolviere ich einen Master-Studiengang Regulatory Affairs.

LINKS ZU WICHTIGEN PHARMA-WEBSITES

Terra X auf Abwegen

Terra X hat sich mit „Die Macht der Pharma-Riesen“ leider auf die Ebene des klassischen Pharma-Bashings begeben und wird seinen eigenen Ansprüchen, „die Relevanz von Wissenschaft und Technologie für unser aller Leben“ zu dokumentieren, nicht gerecht.

Zwar schließt Harald Lesch den Beitrag mit der Bemerkung, es sei alles nicht so einfach, aber dann hätte er und sein Team den Beitrag etwas differenzierter gestalten und nicht vorurteilsbehaftet das übliche Pharma-Bashing abliefern sollen.

Thema Lifestyle-Nebenprodukte

Der Beitrag startet mit der sog. Abnehmspritze Wegovy (Wirkstoff: Semaglutid, ein GLP-1-Rezeptor-Agonist). Semaglutid ist ein Anti-Diabetes-Präparat und ist als Ozempic schon länger auf dem Markt, etwas niedriger dosiert. Der Wirkstoff war also bereits vor dem Abnehm-Hype als Antidiabetikum bekannt. Die Zulassung fordert eine begleitende Diät und körperliche Aktivität.

Außerdem hat Eli Lilly die Zulassung zum „Gewichtsmanagement“ für Mounjaro erhalten. Mounjaro enthält den Wirkstoff Tirzepatid. Es ist ebenfalls ein Antidiabetikum. Wird es zum Gewichtsmanagement eingesetzt, ist ein Lifestyle-Präparat, was selbst bezahlt werden muss. 

Semaglutid und Tirzepatid als Abnehmhilfe sind daher für die Unternehmen Novo Nordisk und Elli Lilly ein erfreuliches Nebenprodukt, wie es vor Jahren durch Zufall Viagra für Pfizer gewesen ist. Das erfreut die Aktionäre, die Lebensversicherer, die Rentner, die von den Lebensversicherungen leben, die Angestellten des Unternehmens und besonders die Forschenden in dem Unternehmen.

Es klingt bei Harald Lesch an, aber es wird nicht konsequent verfolgt: Eigentlich ist das Problem nicht die Industrie, sondern der Mensch. Sorglos fressen und saufen und dann mit Medikamenten gegen die eigenen Fehler vorgehen. Wenn eine Industrie anzuprangern wäre, dann doch die Fast-Food-, Süßigkeiten-, Chips-, Alkohol- und sonstige Industrie, die ungehindert Werbung für ihre schädlichen Produkte machen darf und die Schwäche des Menschen ausnutzt. Pharma-Bashing kommt aber wohl besser beim Zuschauer an.

Thema Opioidkrise in den USA

Dann wird es aber ganz skurril. Da man in Deutschland und Europa keinen Pharmaskandal aus den letzten Jahren anbieten kann, baut man die amerikanische Opioidkrise ein, die es hier gar nicht gibt. Diese haben wir bereits in einem Blogbeitrag dargestellt. Lesch kommt zu demselben Schluss wie die Autorin, dass so eine Krise aufgrund des Betäubungsmittel-Gesetzes in Deutschland nicht vorstellbar ist. Perdue-Pharma ist auf jeden Fall zu verurteilen, ist der Fall aber wirklich sehr speziell für die USA. Beispielsweise darf in Deutschland für verschreibungspflichtige Präparate gegenüber Patient:innen nicht geworben werden!

Thema Preise 

Nun kommt eines der Lieblingsthemen der Medien: die Preise für Arzneimittel. Innovative Medikamente seien zu hochpreisig. Besonders auf die Spitze getrieben haben es Unternehmen, die Immuntherapien bei seltenen Erkrankungen anbieten, für sog. Orphan Drugs. Gibt es nur wenige Patient:innen (Stichwort seltene Erkrankung), muss der gesamte Forschungsaufwand von denen bzw. ihren Krankenkassen gedeckt werden. Daher die hohen Preise.

Dazu sind bereits interessante Beiträge auf Pharma-Fakten erschienen, die wir verlinken:

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Das Bundesministerium für Gesundheit unter Karl Lauterbach möchte für Arzneimittel keine hohen Preise akzeptieren, wenn nur minimale Verbesserung zu etablierten Medikamenten festzustellen sind. Das hört sich einleuchtend an, ist aber durchaus kompliziert. Denn es gibt in manchen Fällen keine adäquaten Vergleichstherapien, weil die Behandlung ja eben innovativ und neu ist. Außerdem spielt die „Quality of Life“-Verbesserung oft eine untergeordnete Rolle. Sie würde möglicherweise aber die Adhärenz der Patient:innen erhöhen. Insofern mag eine kleine Verbesserung eben doch für die Betroffenen eine große Rolle spielen.

Thema Klinische Studien

Harald Lesch stellt die Erforschung eines Arzneimittels vom Verstehen der Krankheit über das Finden eines möglichen Wirkstoffs bis hin zu den klinischen Studien gut dar. Leider aber ohne graphische Unterstützung, nur mündlich und im Taxi. Das bleibt beim Zuschauer nicht so gut haften. 

Wie teuer so eine Entwicklung ist, bleibt das Geheimnis der Industrie. Der Grund ist offensichtlich, mal geht es problemlos und die Kosten werden überschaubar sein, aber in einigen Fällen, die die Autorin selbst miterlebt hat, zeigt sich in klinischen Studien, dass das Arzneimittel leider nicht auf den Markt kommen wird. Es wurde sehr viel Geld investiert und es wird nichts zurückfließen.

Es muss also ein Mittelwert für Forschungskosten gefunden werden, die einen Ausgleich schaffen zwischen hohen und niedrigeren Forschungsausgaben. Die Offenlegung der Forschungskosten könnte also nur dieser Mittelwert sein, aber genau der löst bereits jetzt Streit aus.

Thema Entbürokratisierung

Es werden weniger klinische Studien in Deutschland durchgeführt. Was das bedeutet, bespricht Lesch mit Gesundheitsminister Lauterbach. Es führt nämlich dazu, dass Patient:innen nicht so schnell an neue, innovative Therapien kommen, wie in anderen Ländern der Welt. Das ist dramatisch!

Lesch und Lauterbach diskutieren welche Maßnahmen dagegen greifen: In erster Linie die Entbürokratisierung. Bevor hier eine klinische Studie genehmigt ist, ist sie bereits in anderen Ländern der Welt abgeschlossen. Der Bundestag hat deshalb das Medizinforschungsgesetz noch vor der Sommerpause beschlossen.

Zur Beruhigung: Lauterbach bestätigt, dass kein Geld zur deutschen Pharmaindustrie fließt. In der Tat ist die Subventionierung einer Industrie selten sinnvoll, aber dann muss es auch Preisspielräume für die Industrie geben. 

Thema Lieferengpässe

Wir haben in verschiedenen Blogbeiträgen (s. Liste unten) schon das Problem der Lieferengpässe diskutiert. Lesch stellt die Probleme richtig da:

  • 50 % der Medikamenten-Wirksubstanzen und der Rohstoffe werden in asiatischen Ländern produziert, vor allem in China, gefolgt von Indien.
  • Der Druck der Krankenkassen auf die Preise ist eine Ursache dafür.
  • Die Forderung, die Produktion nach Europa zurückholen, funktioniert deshalb nicht so einfach, da in Europa Umweltschutzgesetze existieren, die es für einige Chemikalien unmöglich macht, diese in Europa zu produzieren. Das ist ein neuer Aspekt, der hier im Blog noch nicht dargestellt wurde und die Autorin überrascht hat. Das ist sinnbefreit, denn irgendwo müssen diese ja produziert werden.

Thema Antibiotika

Die Folgen der Antibiotikumproduktion in Indien sind verseuchte Gewässer. Reste von Antibiotika in den Gewässern kann zu Resistenzen der Menschen dort führen. Bei uns ist vor allem die Massentierhaltung und das Zuviel an Verordnungen – auch bei Virusinfekten – Schuld an Resistenzen. Die Resistenzen können sich weltweit verbreiten und dazu führen, dass Antibiotika nicht mehr wirken. 

Um einen Bogen zu schlagen zu der „Macht der Pharma-Riesen“, bemüht sich die Terra X-Redaktion den Schuldigen wieder bei der pharmazeutischen Industrie zu finden. Die Entwicklung von Reserve-Antibiotika ist nicht wirtschaftlich. So ist es. Denn ein Unternehmen muss profitabel wirtschaften, sonst droht die Insolvenz. Somit wird wieder das ökonomische Streben der Industrie kritisiert, aber nicht aufgezeigt, wie das planwirtschaftliche Gesundheitssystem mit der wirtschaftlich orientieren Industrie zusammenpasst. An dieser Stelle kann man durchaus über Subventionen sprechen, denn diese können Menschenleben retten.

Fazit

So richtig weiß man nicht, worauf der Beitrag hinausläuft. Bashing der pharmazeutischen Industrie ja, somit weitere Verunsicherung von Patient:innen, Bedienen alter Vorurteile. Gleichzeitig – aber erst ab Mitte des Beitrags – wird die Wichtigkeit und der Aufwand von klinischen Studien und Innovationen in der Arzneimittelforschung aufgezeigt.

Am Ende heißt es: „Wieviel Raum wollen wir den ökonomischen Interessen der Pharmakonzerne einräumen?“ – Fordert die Redaktion eine staatliche Pharmaforschung? So wie am Beispiel der ehemaligen DDR? Nein danke, das war und wird nicht erfolgreich sein.

Es werden innovative Medikamente gefordert, aber das geht nur mit einer frei wirtschaften Industrie und ja, auch mit hohen Preisen. Trotzdem soll das Gesundheitssystem ohne Zwei-Klassen-Medizin bezahlbar bleiben. Genau das wird nicht funktionieren.

Wichtig ist, dass Menschen mit chronischen und lebensbedrohlichen Erkrankungen die bestmögliche und innovative – auch teure – Medizin bekommen – egal wer und egal wieviel Geld derjenige hat. Befindlichkeitsstörungen und pillepalle Erkältungen benötigen weder einen Besuch in einer Praxis noch einer Medikation, die alle Beitragszahler finanzieren. Und nicht durch klinische Studien belegte Mittelchen sollten gar nicht mehr bezahlt werden. Aber das traut sich keiner offen zu sagen.

 
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Titelbild: Eigenes Foto – copyright KT Projekt

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