Der vierte und letzte Teil unserer Analyse über den ZDFzoom-Beitrag vom 15. Januar 2014 mit dem Titel: „Teure Tabletten: ZDFzoom über die Macht der Pharmaindustrie“[1] beschäftigt sich mit den
Forderungen nach einer Staatsmedizin und den Importen von Arzneimitteln.
Im ersten Teil haben wir uns mit dem Teil des Filmbeitrages „OTC-Arzneimittel auf Kasse?“ auseinander gesetzt, den zweiten Teil widmeten wir verschreibungspflichtigen Präparaten und beleuchten die Hintergründe der Preisgestaltung für Arzneimittel. Der dritte Teil schilderte Probleme einer privatversicherten Krebspatientin mit dem Bezahlen ihrer Therapeutika und den Fall MabCampath®. Sie finden alle Teile hier auf unserer Blog-Seite.
Einfach umgepackt – Arzneimittelversorgung durch Parallel- und Re-Importe
Gibt man in eine Suchmaschine „Re-Importe“ ein, erscheinen auf den ersten Seiten Links zu Re-Importen von Kraftfahrzeugen. Produkte, die im Ausland preiswerter sind, werden nach Deutschland re-importiert. Man findet auch andere Beispiele, z.B. Taschen und Mode. Also nichts Ungewöhnliches. Der Preis richtet sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes und von daher gibt es auch innerhalb der EU ein Gefälle. Das gilt auch für Arzneimittel.[2]
Bei Medikamenten unterscheidet man zwischen Parallel- und Re-Importen. Ein Medikament wird als Parallel-Import bezeichnet, wenn es von einem multinationalen Konzern außerhalb von Deutschland hergestellt wurde. Ein Re-Import ist ein Arzneimittel, was in Deutschland produziert, ins Ausland geliefert und dann wieder zurück nach Deutschland importiert wird.
Importeure, wie z.B. die im Film gezeigte Firma Kohlpharma, kaufen Parallel- und Re-Importe von pharmazeutischen Großhändlern anderer EU-Staaten. Meist in größerer Menge, was die Preisdifferenz noch einmal vergrößert. In Deutschland werden die Medikamente dann umgepackt, also mit deutschen Packungsbeilagen (Gebrauchsinformationen) und Umverpackungen versehen. Der Importeur muss nachweisen, dass das Arzneimittel mit dem Original des in Deutschland verkauften Medikamentes identisch ist. Lt. Wikipedia liegt der Marktanteil von Importen bei 11%.[3]
Es versteht sich von selbst, dass es nur dann ein lohnendes Geschäft ist, wenn es sich um sehr hochpreisige Originalpräparate handelt. Denn auch der Importeur will verdienen.
Im Prinzip ist gegen Importe nichts einzuwenden, abgesehen von der Fehlerquote beim Umverpacken. Wie schon erwähnt, existieren Re-Importe für viele hochpreisige Güter auf dem Markt. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz, das in diesem Blogbeitrag schon häufiger Erwähnung fand, wurde eine sog. Importquote eingeführt. 10% der Originalpräparate müssen durch Import-Arzneien ersetzt werden, die mindestens 15% oder 15 Euro günstiger sein müssen. Dadurch entgehen dem Hersteller zwangsläufig Umsätze, neben den weiteren staatlichen Eingriffen wie dem Hersteller-Zwangsrabatt (s. Blog-Teil 2).
Die Pharma-Industrie als Hilfsindustrie
Ein Zwischenresümee des Autors, warum die Arzneimittelpreise in Deutschland so hoch sind, erwähnt auch, dass die Kaufkraft eines Landes ein Argument für höhere Preise ist. Das gilt für alle Waren, wie im letzten Abschnitt erwähnt. Warum wird das bei Arzneimitteln nicht akzeptiert? Wir kommen dem Grund näher, wenn wir der Sendung weiter folgen.
Herr Balzer besucht Frau Dr. Christiane Fischer von „MEZIS“ („Mein Essen zahle ich selbst)“, einer Initiative von Ärzten, die jegliche Geschenke und von der Industrie gesponserte Fortbildungen ablehnen. Frau Fischer fordert, dass die Pharmaindustrie kein Teil des deutschen Gesundheitswesens bleibt, sondern zu einer Hilfsindustrie wird.
Der angeführte Vergleich mit der Autoindustrie ist unglücklich gewählt, da die Autoindustrie nicht für die Ausstattung eines Notarztwagens zuständig ist, sondern nur die Autos fertigt. Die Einrichtung wird nach den Erfordernissen des Betreibers eingebaut und ist kein direktes Produkt der Automobilindustrie, sondern eine Kooperation mit der Medizintechnik-Industrie. Und selbstverständlich wird das Auto komplett und ohne Hersteller-Zwangsrabatt vom Käufer bezahlt. Es wäre schön, wenn die Pharmaindustrie so ein gutes Image wie des deutschen liebstes Kind, der Autoindustrie, hätte.
Im Prinzip fordert Frau Fischer eine Staatsmedizin. Darüber kann man sicherlich diskutieren. Denkbar ist folgendes Szenario: Eine Staatsstelle checkt auf dem Weltmarkt das Angebot an Arzneimitteln und bestimmt dann, was für das staatliche Gesundheitssystem sinnvoll ist. Diese Staatsstelle kauft die Medikamente zentral ein. Sie bestimmt auch, was und wie im Gesundheitssystem behandelt wird. Angestellte Ärzte in z.B. Polikliniken, verordnen die Medikamente oder geben sie kostenlos ab. Dieses Szenario hat den Vorteil, dass marktwirtschaftlich orientierte Unternehmer (Industrie, Ärzte, Apotheker, ein Teil der Krankenhäuser) nicht mehr einem staatlich gelenkten Gesundheitssystem gegenüber stehen. Was das allerdings an Kosten für den Staat nach sich zieht, muss an anderer Stelle errechnet werden.
Solange ein privatwirtschaftliches Unternehmen im Gesundheitswesen agiert, sollte ihm auch das marktwirtschaftliche Prinzip zugestanden werden. Ein Konzern muss und will Geld verdienen, seinen Aktionären Dividende ausschütten, seine Angestellten bezahlen und Gewinn für neue Investitionen erwirtschaften. Unternehmerisches Engagement ist damit nach wie vor einer der entscheidenden Faktoren für den Fortschritt in der Medizin[4].
Arzneimittelforschung wird heute in Deutschland nahezu ausschließlich von privaten Unternehmen finanziert. Die forschende Pharmaindustrie ist eine der wenigen Branchen, die ohne nennenswerte staatliche Forschungssubventionen auskommt. In einer Staatsmedizin muss diese Forschung von den staatlichen Stellen selbst getragen werden.
Da die Pharmaindustrie die gesamte Forschung finanziert, darf sie auch die Präparate vermarkten. Das BfArM lässt nach den Zulassungsstudien durch die Hersteller die Arzneimittel für den deutschen Markt zu. Eigene Forschungen über die Präparate erfolgen nicht. Es scheint als würde Herr Balzer fordern, dass die Zulassungsstudien über das BfArM erfolgen und damit auch finanziert werden sollten. Auch das ist eine legitime Forderung, deren Kosten errechnet werden müssten.
Resümee
In keinem Teil des Beitrages von Herrn Balzer wurde darauf eingegangen, dass Arzneimittel Leben retten. Selbst die Brustkrebspatientin, der vielleicht vor 10 oder 20 Jahren noch nicht geholfen werden konnte, ist anscheinend nicht gänzlich froh über die medizinischen Erfolge, die wir erreicht haben. Die Bevölkerung wird immer älter, vor allem dank des medizinischen Fortschritts, an dem die Pharmaindustrie einen großen Anteil hat. Warum wird in so einem Beitrag nicht auch darauf hingewiesen?
Immer wieder wird ein mangelnder Zusatznutzen von neuen Medikamenten erwähnt. Tatsächlich stimmt auch diese Verallgemeinerung nicht. Selbst wenn man nur das Ergebnis der IQWiG-Urteile (47% aller 49 eingereichten Anträge (Stand: 2013) wird ein Zusatznutzen attestiert) als Maßstab nimmt, zeigen neue Medikamente sehr wohl einen Zusatznutzen. Abgesehen davon lassen sich einige Empfehlungen des IQWiG auch kritisch sehen (s. Blog-Teil 2), somit wäre der Anteil höher einzuschätzen.
Warum wird nicht ehrlich diskutiert, dass dem privat-marktwirtschaftlichen System, in dem Pharma- und Medizintechnikindustrie sowie Krankenhäuser, Heime, Apotheken und Arztpraxen sich einordnen, ein nicht-marktwirtschaftliches System, nämlich das der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber steht? Nicht zu vergessen sind die Forderungen der immer älter werdenden Patienten an das Gesundheitssystem insgesamt. Alles zusammen harmoniert nicht. Das ist ein grundsätzliches Problem des Systems. Warum wird das aber nur einem Teilnehmer des Gesundheitssystems vorgeworfen, nämlich der Pharmaindustrie?
Und es gibt noch einen Knackpunkt: mit Gesundheit darf man kein Geld verdienen! Das ist die „Ethik-Falle“ des Gesundheitssystems. Sie gilt nicht nur für die Pharmaindustrie, sie gilt auch für Ärzte, Apotheker, Pflegeheime und Krankenhäuser. Und deshalb finden solche einseitigen Fernsehbeiträge bei den Zuschauern Beifall.
Kritik erntet Herr Balzer aber nicht nur von den Autorinnen, sondern auch von Kollegen: „Der verwegene Enthüllungsjournalist Klaus Balzer wagte sich auf Schritt und Tritt begleitet von einer Living Camera, an ein in den letzten Jahrzenten gefühlt hundertmal und mehr der Nation aufwühlend aufgetischtes Thema heran: ….“[5].
Zusammenfassend muss man leider sagen, dass der Bericht tendenziös, vorurteilsbehaftet und nicht objektiv war. Schade!
Anmerkung: Da es eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war, müssen wir darauf aufmerksam machen, dass mehrfach offen Werbung für ein Samsung Smartphone gezeigt wurde und einmal für ein Apple Laptop. Wir sehen das als Ironie. Vergleichbares mit einem rezeptfreien Arzneimittel[6] hätte Kommentare wegen Schleichwerbung nach sich gezogen.
Autorinnen: Martina Hänsel und Karen Thiel
[1] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-a-bis-z#/beitrag/video/2066298/ZDFzoom:-Teure-Tabletten
[2] http://www.pta-aktuell.de/aktion/news/6178-Reimporte/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Importarzneimittel
[4] Quelle: vfa
[5] Richard Schütze: Das übliche Gemecker über „Big Pharma“, The European, 21.01.2014
[6] Die Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel ist in Deutschland außerhalb von Fachkreisen verboten.