Welcher Teilnehmer des deutschen Gesundheitswesens – außer den selbst Betroffenen natürlich – hatte schon einmal das „Glück“ an einer Pharmakotherapieberatung für niedergelassene Ärzte teilzunehmen? Wohl kaum jemand. Daher werde ich davon berichten, denn ich persönlich kam in den Genuss und habe meinen Ehemann begleitet.
Viele Ärzte in den Kliniken wissen nicht was ein Arzneimittel-Regress ist, viele Mitarbeiter in der pharmazeutischen Industrie halten Regresse für ein Hirngespinst panischer Niedergelassener oder denken, es sei lediglich ein Argument doch das neue phantastische Arzneimittel nicht aufschreiben zu wollen. Apotheker kennen Regresse dem Namen her, sind aber mit ihren eigenen Problemen, wie Retaxierungen, genug beschäftigt. Patienten haben von Regressen meist solange keine Ahnung bis ihr Arzt einen hatte und sie daher in Streit mit ihm geraten. Sie mögen auch häufig der Meinung sein, dass Ärzte genug Geld verdienen, da spiele es keine Rolle, wenn er mal was an die Krankenkassen (ergo an sie selbst) bezahlen müsse. Die Presse interessiert sich gar nicht für Regresse und wenn sie davon wissen, reagieren sie wie die Patienten.
Also ein unerfreuliches Thema und die niedergelassenen Ärzte werden damit komplett im Stich gelassen. Kein Wunder, dass die Hälfte es bereut eine eigene Praxis zu haben[1].
Letzten Mittwoch war es also so weit. Um 15 h trafen wir bei der KV Nordrhein ein. Mein Mann ist hausärztlicher Internist, seit 2003 niedergelassen. Er hat letztes Jahr im Sommer eine Regressandrohung über „nur“ 3.000 Euro für das Jahr 2011 erhalten. Sein Widerspruch wurde abgelehnt und er wurde vor die Wahl gestellt die Pharmakotherapieberatung zu besuchen oder es würde so gewertet, als hätte er sie besucht. Denn nach der Beratung kann ein zukünftiger Regress durchgesetzt werden und er muss zahlen.
Uns empfingen ein älterer niedergelassener Allgemeinmediziner und eine angestellte Apothekerin. Beide sehr nett und wirklich bemüht gute Tipps und wohlmeinende Ratschläge zu geben. Sicherlich, mein Mann hatte einige Fehler gemacht, die er aber bereits im letzten Jahr korrigiert hatte. Da das Softwareprogramm aber immer noch eine Überschreitung des Arzneimittelbudgets zeigt, hoffte er auf Ideen „outside the box“. Sein Argument, dass er als Internist vorwiegend geriatrische Patienten hat, die einiges an Medikamenten „kosten“ – zählt nicht. Der Hinweis auf Altenheim- und Behindertenheimbetreuung – zählt nicht. Eine Einzelfallbegründung – zählt nicht. Es kommt grundsätzlich auf das Gesamtbudget an. Dass ein älterer Patient sich unterversorgt fühlt, wenn er mit weniger als 3 Medikamenten auf dem Rezept die Praxis verlässt, ist bekannt, wird aber von den Kassen, der Politik und der Presse ignoriert, denn der Patient ist immer das Opfer.
Welche Möglichkeiten gibt es für einen niedergelassenen Arzt, um die Gesamt-Arzneimittelmengen zu reduzieren?
- Er sollte versuchen seine Praxis mit jüngeren Patienten, die keine Medikamente benötigen, zu „verdünnen“. Aber das ist leider bei der Ärztedichte und genug Allgemeinmedizinern in der Nähe so leicht nicht möglich. Könnte auch den Makel der „Krankschreiberpraxis“ nach sich ziehen.
- Soviel es geht auf Privatrezepte oder grüne Rezepte verordnen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit das Arzneimittelbudget einzuhalten, führt aber in 99% der Fälle zu ärgerlichen und endlosen Diskussionen (s.o. Patient – Opfer).
- Er wechselt auch bei gut eingestellten Patienten sofort auf ein Generikum, sobald es verfügbar ist, oder stellt konsequent seine Patienten immer auf die billigste Therapie ein. – Ihm bleibt gar nichts anderes übrig als genau das zu tun, trotz der endlosen Diskussionen mit den Patienten über die Umstellung. In dem Punkt fallen den Ärzten auch gerne noch die Apotheken in den Rücken, die den Patienten darauf aufmerksam machen, dass es „Aut idem“ Kreuze gibt. Die Diskussionszeiten bekommen die Ärzte übrigens nicht bezahlt.
- Er setzt viele moderne Arzneimittel von vorneherein gar nicht mehr ein, ignoriert die Leitlinien und behandelt teilweise wie vor 20 Jahren, denn diese älteren Präparate sind meist preiswert.
- Innovationen kommen ihm also nicht durch die Praxistür und am besten auch keine Pharmareferenten.
- Tabletten vor Pflastern Vorrang geben, da Tabletten meist billiger sind. Kein Problem, ob der Patient 10, 12 oder 15 Tabletten pro Tag schluckt, soll sich nicht so anstellen.
- Verordnungen auf Fachärzte, z.B. Pulmologen, Kardiologen, abwälzen. Diese haben oft ein höheres Budget. Die Kollegen werden sich bedanken und die Patienten auch, die dafür meist weitere Wege und lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
- Er „wirft“ besonders kostenintensive Patienten raus. Sehr effektiv, was das Arzneimittelbudget angeht, nicht ganz so effektiv, wenn es um den eigenen Ruf im Stadtteil geht.
Diese Punkte wurden in der Beratung überspitzt von meinem Mann vorgetragen. Und – sie wurden im Endeffekt bestätigt mit beispielsweise einem Satz in der Art: „So meinen wir das natürlich nicht, aber Sie müssen schon einem Patienten sagen, dass er sich einen neuen Arzt suchen müsse, wenn er Ihren Anweisungen nicht folgt und weiterhin auf die XY-Medikation bestehen würde.“
Die beiden gaben dann noch weitere Tipps, wie beispielsweise die Mengen an Diabetes-Teststäbchen und Tabletten für das Quartal abzuzählen, um nicht zu viel zu verordnen. Das ist sicherlich sinnvoll, die medizinischen Fachangestellten in der Praxis meines Mannes zählen bereits seit letztem Sommer. Und es war ein Fehler es vorher nicht zu tun.
Etwas zum „Lachen“ gab es auch. Wenn alle Quoten geschafft werden, gibt es keine Regresse. Die Generikaquote liegt bei 90,50%, mein Mann hatte 89,69%. Tja, knapp daneben ist auch vorbei. Aber insgesamt ist das wirklich der wichtigste Ratschlag: Focus auf die Quoten legen, um jeglichem Regress aus dem Weg zu gehen. Aber das heißt tatsächlich: 90,50% Generika-Verordnung! Und man benötigt eine 100%ig verlässliche Arztsoftware, um es zu tracken. Leider leisten die Programme genau das nicht.
Zum Abschluss gab es den Hinweis ein enges Arztnetzwerk im eigenen Stadtteil zu bilden oder sich direkt einem MVZ anzuschließen und eine kleine Praxis (klein = bis 800 Scheine) aufzulösen. Und da sind wir bei dem Hauptpunkt der ganzen Aktion. Diese kleinen Sticheleien dienen doch nur dazu, dass ein Poliklinik-System angestrebt wird. Warum nicht offen darüber sprechen und ein Konzept anbieten wie die Kleinselbständigen sich ohne finanziellen Verlust in das System eingliedern können? Vielleicht warten einige niedergelassene Ärzte darauf sogar. Mein Mann ist auf jeden Fall so mürbe und hat so wenig Freude an seiner Arbeit, dass er sich solche Angebote überlegen würde.
Fortsetzung folgt …..
[1] http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/niederlassungen-jeder-zweite-arzt-bereut-freiberuflichkeit/