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DIE AUTOREN

Karen Thiel
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als selbständige Pharma-Expertin für die Bereiche Medical-Marketing und Patient Support tätig. Ich betreue Biopharma, RX, OTC/OTX, Supplements und apothekenexklusive Kosmetik-Marken als Managerin oder Consultant. Ein besonderes Spezialgebiet von mir ist der Aufbau von Patienten-Support-Programmen. Auch Online/Social-Media-Aktivitäten im Healthcare-Bereich zählen zu meinen Kernkompetenzen. Meine Firma heißt KT Projekt. Mein Angebot sowie eine Referenz- und Projektliste finden Sie unter www.ktprojekt.de.
Dr. Martina Hänsel
In der Pharmabranche arbeite ich seit mehr als 20 Jahren und bin seit über acht Jahren freiberufliche Beraterin mit Schwerpunkt auf medizinisch-wissenschaftliche Beratung, Kommunikation und Interim Management. Außerdem absolviere ich einen Master-Studiengang Regulatory Affairs.

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Dr. Wolfgang Wodarg und die Coronakrise

Eigentlich wollte die Autorin an dieser Stelle über Arzneimittelzulassungen in Deutschland und Europa schreiben – warum nach Meinung des deutschen Pharmakologen Christian Steffen so viele unwirksame Arzneimittel noch auf dem deutschen Markt sind[1] und dass sich dennoch in der EU vor allem mit der Richtlinie 2001/83/EG[2] und dem zentralen Zulassungsprozedere unglaublich viel getan hat, um moderne Arzneimittel so vielen Patienten wie möglich zur Verfügung zu stellen… aber die Coronakrise macht wie überall vieles anders.

Es gibt viele seröse Informationsquellen zum Virus Sars-CoV-2 und zur Erkrankung Covid-19, darüber hinaus wird die Autorin auch mehrfach gefragt, was von der Meinung des deutschen Arztes Dr. Wolfgang Wodarg zu halten ist. Zuallererst kamen Freunde mit dem Artikel „Panikmacher isolieren“ vom 29. 2.2020[3], später kamen auch Links zu Youtube-Interviews bzw. der Webseite des Arztes.[4]

Kurz gesagt, drückt Herr Dr. Wodarg in seinem Artikel aus, dass alle Berichte und Maßnahmen Panikmache wären, das Coronavirus sei schon immer bei den „normalen“ Erkältungserregern dabei gewesen, und man weist ihn jetzt lediglich vermehrt nach, weil man eben danach sucht. Und die Erkrankung selbst wäre gar nicht so schlimm, sondern im Bereich der alljährlichen Grippewelle.

Wer ist Dr. Wodarg?

Zugegeben, die Expertise von Herrn Dr. Wodarg ist beeindruckend: geboren 1947, Internist und Lungenfacharzt, Schiffsarzt, Hafenarzt in Hamburg und 13 Jahre Amtsarzt in Schleswig-Holstein. Von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Ab 2010 wissenschaftlicher Berater beim Untersuchungsausschuss zur Rolle der WHO bei der H1N1 (Schweinegrippe). Seit 2011 freier Hochschullehrer, Arzt und Gesundheitswissenschaftler.

Was behauptet er und was stimmt?

Der Artikel scheint vordergründig sachlich und fundiert. Hier ein paar Dinge, die der Autorin  aufgefallen sind:

1. Ein erster Impuls: Virologen und Wissenschaftler aller Welt können sich nicht irren, während ausschließlich Herr Wodarg die Wahrheit sieht. Aber das ist zu kurz gedacht. Immerhin gibt es in der menschlichen Geschichte solche Beispiele („Und sie bewegt sich doch.“). Kein Argument mehr, seit die Erde eine Kugel ist, aber dennoch: Eine Stimme gegen viele. Sind alle anderen (in vielen Ländern) wirklich solche Idioten?

2. Der Verweis auf frühere Irrtümer ist wohlfeil. Abgesehen davon, dass, wer einmal oder zweimal irrt, dennoch später Recht haben kann. Die Seuchenexperten wären „gelyncht“ worden, zumindest medial, hätten sie eine Gefahr UNTERschätzt. Schweine- und Vogelgrippe wurden aus einem anderen Grund energisch bekämpft als der der unmittelbaren Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung: Das eine Virus war hochansteckend, das andere tödlich. Die Gefahr der Mutation zu einem Virus (beide sind enge Verwandte), das sowohl hochansteckend als auch sehr tödlich ist, war und ist real. Die Spanische Grippe war durch ein ebensolches Virus verursacht und hat in weniger als der Hälfte der Zeit des 1. Weltkrieg mehr Tote verursacht als dieser.

3. Die erste Entdeckung war nicht die des Virus, sondern die der „rätselhaften LungenKRANKHEIT“ in China[5]. Erst danach wurde nach dem Erreger gesucht und dann später dieser Erreger als bisher unbekanntes Coronavirus identifiziert. Es ist davon auszugehen, dass die Wissenschaftler das neu entdeckte Virus mit bereits bekannten Coronaviren (genetisch) abgeglichen haben. Das Genom eines Virus ist ja eher überschaubar.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass dieses Virus schon lange in der menschlichen Population vorhanden ist und nun lediglich gefunden wird, weil intensiv darauf getestet wird. Teilweise ist das natürlich möglich, denn man findet eben nur das, wonach man sucht (wie z.B. auch mit den Nitrosamin-Verunreinigungen in den Arznei-Wirkstoffen – aber das ist eine andere Geschichte). Die Kombination neue Erkrankung – neuartiger Erreger aus einer bekannten Virenfamilie – erscheint aber deutlich schlüssiger.

4. Zur Harmlosigkeit der Krankheit: Zum Glück beim Großteil der Infizierten anscheinend ja. Doch rechnen wir nach: Bis zu 60- 80% der Deutschen sollen sich im Laufe der nächsten Monate infizieren. Klingt, auch nach den Thesen des Autors Wodarg, schlüssig, denn jeder von uns trägt Viren mit sich herum. Bei ca. 2 – 5% der Infizierten verläuft die Krankheit mit schwerem Verlauf (das heißt ärztliche Hilfe bis zum Krankenhaus). Das ist eine extreme Belastung auch des besten Gesundheitssystems. 0,2% sterben (nach vorsichtigen Rechnungen wegen der hohen Dunkelziffer).

Das hieße für DE: 48 bis 60 Mio. Infizierte, 960.000 bis 3 Millionen Erkrankte (bedeutet in diesem Fall Hospitalisierung mit schwerer Lungenentzündung und meist Anschluss an ein Beatmungsgerät) und 96.000 bis 120.000 Tote.
Das wären, auch in diesem Fall mit relativ „optimistischen“ Zahlen, deutlich mehr Tote als eine „normale“ Grippewelle (mit den berühmten 20.000 Toten).

Schlimmer noch: Wir haben in DE ca. 21.000 bis 28.000 Intensivbetten (diese Zahlen gingen in den letzten Tagen mehrfach über die Presse). Diese Betten sind nicht alle leer. Die Bemühungen gehen also dahin, dass die vielen möglichen schwer Erkrankten nacheinander in diese Betten kommen und nicht alle auf einmal. Wie gesagt, diese Zahlen basieren auf den eher optimistischeren Anteilen an Infizierten und schwer Erkrankten.

Das weltweite Dashboard der Johns-Hopkins-Universität[6] lässt im Übrigen auf eine Gesamt-Mortalität von 4% schließen.

5. Die italienischen Beispiele von schwer Erkrankten in den Kliniken[7]. Alles Lüge oder „ohne jede medizinische Bedeutung“?

6. Die Erklärung für die vielen, wirklich einschneidenden Maßnahmen. Trotz aller Auswirkungen auf die ökonomische und psychische Lebensqualität versteht die Autorin die Maßnahmen. Es gibt den Begriff der Herdenimmunität. Je mehr Menschen in einer Bevölkerung gesund, d. h. nicht infiziert sind, desto besser sind die Gefährdeten, die bei einer Infektion schwer erkranken würden, geschützt. Also beim Coronavirus ältere Menschen oder Menschen mit Grunderkrankung. Menschen wie Eltern oder Freunde oder alle im Alter von 50+.
Das bedeutet, dass ALLE Infektionsketten abgeschnitten werden müssen. Deshalb die ausgefallenen Ereignisse, geschlossenen Schulen, die Appelle zum Daheimbleiben u.v.m. – auch wenn der überwiegende Teil der Bevölkerung noch gesund ist oder nur milde erkrankt.

7. Die Krankheit ist nicht bzw. zu wenig bekannt, man weiß nicht, wie der Erreger sich eventuell verändert, es gibt weder eine Impfung noch eine ursächliche Therapie – außer der Beatmung bei schwerem Verlauf, und die bekämpft die Symptome. Es muss auf alle Fälle verhindert werden, dass sehr viele angesteckt sind oder krank. Auch deshalb die Politik der energischen Abriegelung seitens der Ärzte, der Politik und der Wirtschaft.

Die Virologen des RKI (Wieler) und der Charité (Drosten) weisen immer wieder auf das geringe Wissen zu Sars-CoV-2 und Covid-19 hin. Sie beziffern die Gefahren mit Zahlen und benutzen kaum Adjektive. Das sehen wir als sachliche Information. Der Hinweis, dass hier vielleicht eine Form der Berufsblindheit vorliegt (zu starkes Fokussieren auf das eigene Thema), ist interessant und sicher nicht ganz falsch. Die reißerische Kurve der Neuinfektionen sagt zunächst auch nicht sehr viel aus: 8.200 Fälle innerhalb von gut zwei Wochen in einem 83 Mio-Volk sind jetzt auch nicht so dramatisch, der exponentielle Verlauf schon. Den abzuschwächen nützen Quarantänen und Absagen sehr wohl.

Das Fazit der Autorin

Wir halten die derzeitigen Maßnahmen (es wird von einem „Lockdown Europas“ gesprochen) bei ruhiger Betrachtung und ein wenig Nachrechnen nicht für Panikmache.

Was wäre die Konsequenz aus diesem Artikel von Dr. Wordarg, folgte man dem Autor? Eine Verkürzung des Durchseuchungszeitraums, ein schnelleres Anfluten der Krankschreibungen, Einweisungen, Toten. Dafür keine Beschränkungen irgendwelcher Art. Was wäre abschließend wirklich besser?

 

Quellen

[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/pharmakologe-ueber-wirkungslose-arzneimittel-alles-maerchen-a-00000000-0002-0001-0000-000167093506 v. 22.11.2019, Zugriff 19.3.2020

[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L:2001:311:TOC v. 28.11.2001, Zugriff 19.3.2020

[3]http://zeitung.shz.de/flensburgertageblatt/2332/article/1094358/29/1/render/?token=d21c25e0d9812d4a58df107989b641a2&fbclid=IwAR1ZgpTj0MbtnKb5D7J2lSTCP89FSmfgY-qT9sUy4DIhexnvscvUdKnjCjU Zugriff 18.3.2020

[4] https://www.wodarg.com/ Zugriff 19.3.2020

[5] https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/wuhan-china-who-beobachtet-raetselhafte-lungenkrankheit-a-1303799.html, vom 6.01.2020, Zugriff 18.3.2020

[6] https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 Zugriff 18.3.2020

[7] https://www.n-tv.de/panorama/Dr-Daniele-Macchini-im-Wortlaut-article21633361.html Zugriff 18.3.2020

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