Das Coronavirus beherrscht nicht nur unser momentanes Leben, sondern auch die Medien. In den sozialen Medien äußern sich nun auch die Ungeduldigen, Verschwörungstheoretiker und Zweifler. Es wird angezweifelt, dass die Maßnahmen der Bundesregierung notwendig waren und nur der Wirtschaft schadeten. Dem wollen wir auf den Grund gehen.
Flatten the curve – Warum die Parole richtig ist
Prof. Christian Karagiannidis, Sprecher des DIVI-Intensivregisters und Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim gibt zu bedenken:
„Das Entscheidende ist die Belastung des Gesundheitswesens. Und die Belastung entsteht in erster Linie durch Patienten, die auf der Intensivstation landen. … Daran ist es in Ländern wie Italien gescheitert.“
Die Forderung also, die Infektionsraten nicht exponentiell wachsen zu lassen hatte also eindeutig seine Berechtigung. Wir befragen dazu den Internisten Tim Blankenstein und bitten um seine Einschätzung zu dem Thema.
Interview mit Internist Tim Blankenstein:
K. Thiel: Guten Tag Herr Blankenstein. Sie sind niedergelassener Internist und haben bis 2000 in einer Klinik gearbeitet, unter anderem auch auf einer Intensivstation. Ich möchte Ihnen gerne ein paar Fragen zu der Beatmung stellen, die gerade aktuell im Rahmen der Coronavirus-Epidemie bei Covid-19-Erkrankten immer wieder thematisiert wird.
T. Blankenstein: Guten Tag Frau Thiel, ja das ist richtig, ich habe während meiner Facharztausbildung ein Jahr auf der Intensivstation gearbeitet. Seitdem hat sich bestimmt einiges verändert, aber ich denke, dass ich Ihnen grundsätzliche Fragen zu der Beatmung von Covid-19-Patienten beantworten kann.
K. Thiel: Vielen Dank, dass Sie sich dazu bereit erklären. Der Intensivmediziner Prof. Christian Karagiannidis, sagt:
„Die Überlebenswahrscheinlichkeit für Corona-Patienten auf der Intensivstation dürfte sehr deutlich über 50 % liegen.“
Deutlich über 50 %? Nur? Das ist doch eine ziemlich niedrige Überlebensrate. Und irgendwo hatte ich gelesen, dass in Italien 90 % der beatmeten Covid-19-Patienten sterben. Die Quelle finde ich leider nicht mehr. Aber das sind ja doch erschreckende Zahlen.
Beatmung auf der Intensivstation
T. Blankenstein: Erst einmal müssen wir unterscheiden, wie beatmet wird. Ich versuche es mal kurz und einfach zu erklären. Man unterscheidet zwischen der kontrollierten und der assistierten Beatmung. Folgende Techniken der Beatmung gibt es:
- Notfallbeatmung: Mund-zu-Mund oder per Beutel
- Nicht-invasive-Beatmung (Beatmung über Gesichtsmasken, Mund-Nasen-Masken oder Beatmungshelme), also der Patient atmet noch selbständig mittels Atemmuskulatur
- Rein maschinelle Beatmung auf einer Intensivstation
Letzteres ist die Beatmung auf die sich Ihre Frage bezieht. Bei einer kurzfristigen Beatmung, z.B. einer OP, ist es für den Patienten kein Problem wieder selbständig zu atmen, nachdem er von der Maschine abgesetzt wurde. Nach einer langen Zeit an einer Beatmungsmaschine jedoch muss der Intensivpatient erst wieder lernen selbst zu atmen, man nennt das „Weaning“. Es kann Tage oder Wochen dauern und es gelingt nicht immer, d.h. der Patient stirbt dann letztendlich doch.
Grundsätzlich gehört ein großes Know-How dazu die Maschinen optimal auf den Patienten einzustellen.
Die Maschinen können viel, aber die Einstellung und Überwachung obliegt immer noch dem behandelnden Intensivarzt und den spezialisierten Pflegekräften. Und da haben wir das nächste Problem: ein Chirurg kann operieren, ist aber kein ausgebildeter Intensivmediziner und kann jetzt nicht einfach mal die Abteilung wechseln, wenn das notwendig wird. Gleiches gilt für die Pflegekräfte.
Und das kann in Italien genau das Problem gewesen sein. Die Krankenhäuser waren überfordert, abgesehen davon, dass man gar nicht genug Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit hatte, war bestimmt auch nicht genug ausgebildetes Intensivpersonal vor Ort. Es sind andere Abteilungen eingesprungen, die wahrscheinlich nur eine kurze Einweisung bekommen haben. So erklärt es sich, dass die Todesrate deutlich höher als erwartet ausfällt. Und das ist der Grund, warum wir in Deutschland frühzeitig einen Lockdown durchgeführt haben und immer noch vorsichtig sein müssen, dass wir nicht zuviel lockern. Es ist gut, dass man alle Großveranstaltungen bis in den Herbst absagt und endlich eine Maskenpflicht einführt.
K. Thiel: Vielen Dank für die Erläuterungen. In der Tat sind diese Dinge dem Laien oder den Wirtschaftsexperten nicht klar. Auch bei uns könnte sonst eine Überforderung der Krankenhäuser auftreten und es kann immer noch „aus dem Ruder laufen“.
Kardiale Probleme können bei Covid-19 auftreten
T. Blankenstein: Ja, immer noch. Wenn wir uns wieder verhalten wie vorher, dann kann es passieren. Die Pandemie ist solange nicht vorbei bis wir einen wirksamen Impfstoff haben. Neben der Problematik der Beatmung gibt es zum Beispiel auch noch das kardiale Problem. Das Coronavirus schädigt das Herz und einige Menschen werden als Folge aus kardialen Gründen versterben.
K. Thiel: Das hat mein Kollegin im letzten Blogbeitrag geteilt. Prof. Vogt sagt:
„… ist COVID-19 nicht nur ein Problem der mechanischen Beatmung, sondern betrifft das Herz in ähnlicher Weise. 30 % aller Patienten, welche die Intensivstation nicht überleben, versterben aus kardialen Gründen.“
T. Blankenstein: Ja, genau. Eine durch das Coronavirus ausgelöste Myokarditis ist keine harmlose Erkrankung. Sie schädigt das Herz und so werden vermutlich Covid-19-Überlebende zu einem späteren Zeitpunkt daran versterben. Die Todesrate ist somit höher als es aussieht, weil es sich ja dann nicht mehr nachvollziehen lässt.
K. Thiel: Vielen Dank, Herr Blankenstein, für das Gespräch.
Internist Tim Blankenstein
Titelfoto: Bild von Simon Orlob auf Pixabay
Und unter folgendem Link findet eine ganz ausführliche Erklärung zum Thema Beatmung: https://deutsch.medscape.com/diashow/49000699?src=mkm_demkt_200501_mscmrk_decoronavirus_nl&uac=225935HG&impID=2365147&faf=1#1
Hier das Gesagte bildlich in der ZDF heute App erklärt: „Wenn die Lunge schlapp macht“.
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-plus/gv-beatmung-corona-100.html