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DIE AUTOREN

Karen Thiel
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als selbständige Pharma-Expertin für die Bereiche Medical-Marketing und Patient Support tätig. Ich betreue Biopharma, RX, OTC/OTX, Supplements und apothekenexklusive Kosmetik-Marken als Managerin oder Consultant. Ein besonderes Spezialgebiet von mir ist der Aufbau von Patienten-Support-Programmen. Auch Online/Social-Media-Aktivitäten im Healthcare-Bereich zählen zu meinen Kernkompetenzen. Meine Firma heißt KT Projekt. Mein Angebot sowie eine Referenz- und Projektliste finden Sie unter www.ktprojekt.de.
Dr. Martina Hänsel
In der Pharmabranche arbeite ich seit mehr als 20 Jahren und bin seit über acht Jahren freiberufliche Beraterin mit Schwerpunkt auf medizinisch-wissenschaftliche Beratung, Kommunikation und Interim Management. Außerdem absolviere ich einen Master-Studiengang Regulatory Affairs.

LINKS ZU WICHTIGEN PHARMA-WEBSITES

Antibiotikaproduktion in Indien – ein Umweltskandal mit verheerenden Folgen

Der Bericht „Der unsichtbare Feind – Tödliche Supererreger aus Pharmafabriken“ in der ARD am 08. Mai 2017 war ein echter Schocker. In dem Beitrag ging es darum, wieso immer mehr resistente Keime zum Problem werden. Wieso Antibiotika nicht mehr wirken.

„Die Entstehung und Ausbreitung multi-resistenter bakterieller Krankheitserreger ist ein globales Problem. Eine Reihe von Ursachen für die Resistenzentstehung wurden schon identifiziert: etwa unterdosierte oder zu kurze Anwendung von Antibiotika bei der Behandlung einer Infektion, sinnlose Anwendung von Antibiotika bei Viruskrankheiten (bei denen sie gar nicht wirken) und Fehlgebrauch als Masthilfe in der Tierhaltung. Auch antibiotische Wirkstoffe im Abwasser Antibiotika-produzierender Unternehmen in Asien werden als mögliche Ursache diskutiert.“ (Quelle: vfa, https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/artikel-arzneimittel-forschung/wege-zu-verbindlichen-umweltstandards-in-der-antibiotika-produktion-in-asien.html).

Das Erste untersucht in Indien Abwässer aus Produktionsanlagen

Und genau an dem Punkt setzen die Autoren (Christian Baars, Elena Kuch, Christine Adelhardt, Britta von der Heide) in ihrem Beitrag an und konnten gemeinsam mit dem Mediziner Dr. Christoph Lübbert von der Uniklinik Leipzig eine der Ursachen für multiresistente Keime nachweisen: die Verklappung von Rückständen aus der Antibiotikaproduktion in Indien.

In der Mediathek ist der Bericht mittels dieses Links bis zum 08. Mai 2018 zu sehen.

Warum wird in Asien überhaupt produziert?

Die Begründung ist einfach: „In den 1980er Jahren hat insbesondere China eine Subventionierung der lokalen Produktion von Intermediates und Wirkstoffen zur Sicherstellung chinesischer Unabhängigkeit in der Antibiotika-Produktion beschlossen. Seither erfolgte ein umfangreicher Aufbau von Produktionskapazitäten für Antibiotika zum Einsatz in der Human- und Veterinärmedizin. Der daraus resultierende kontinuierliche Effizienzgewinn und der Ausbau der Kapazitäten führten dazu, dass in China derzeit zu einem derart niedrigen Kostenniveau produziert wird, das in Deutschland nicht erreicht werden kann. Ein zusätzlicher Treiber dieser Entwicklung ist der starke Preisverfall der Antibiotika in Deutschland.“ (Quelle: progenerika, http://www.progenerika.de/antibiotikaproduktion/)

Dies gilt im Prinzip auch für die indischen Antibiotika-Produktionen. progenerika scheibt weiter:

„Warum können Antibiotika nicht in Deutschland hergestellt werden?

Pro Generika ist dieser Frage im Rahmen einer Studie mit Roland Berger nachgegangen. Als die größten Hürden sehen die Experten von Roland Berger die sehr hohen Investitions- und Produktionskosten und das sehr niedrige Preisniveau für Antibiotika in Deutschland, die einer vermehrten Produktion wichtiger Antibiotika in Deutschland bzw. der EU im Wege stehen.“

„Gibt es gar keine Antibiotika, die noch komplett in Deutschland / Europa produziert werden?

Es gibt nur noch eine sehr begrenzte Anzahl von Produktionsanlagen für einzelne Antibiotikawirkstoffe in Deutschland. Entsprechend ist die Abhängigkeit Europas von der Wirkstoffproduktion in China sehr hoch. Dies haben 2016 die Experten von Roland Berger in einer Studie im Auftrag von Pro Generika untersucht. Vor allem in China wurden in den vergangenen Jahrzehnten strategisch gewaltige Produktionskapazitäten für Antibiotikawirkstoffe aufgebaut, die zu einem Kostenniveau produzieren, das weder in Deutschland noch in der EU erreicht werden kann. Dadurch hängt die Antibiotikaversorgung Deutschlands de facto am Tropf Chinas. Hinzu kommt, dass die Zahlungsbereitschaft für generische Antibiotika in Deutschland so tief ist, dass das Preisniveau keine Produktion in Deutschland ermöglicht.“

(Quelle: progenerika, http://www.progenerika.de/antibiotikaproduktion/)

Medikamente sind in Deutschland zu billig

Im Beitrag bestätigt Joakim Larsson von der Universität Göteborg, dass der enorme Preisdruck der Hauptgrund dafür ist, dass vor allem Generika in Asien produziert werden. In Deutschland galten immer Medikamente als zu teuer. Selten wurde darüber diskutiert, dass u.a. auch der volle Mehrwertsteuersatz ein deutlicher Preistreiber ist, es war immer nur die „gierige“ Pharmaindustrie, nicht der Staat, nicht die Kassen.

Eine Produktion von Medikamenten ist in Europa einfach teuer: Die Produktion selbst, das Personal und die Umweltstandards tragen zu den hohen Kosten bei. Vielleicht versteht man es jetzt, was die Macht der Kassen durch den Druck auf die Preise angerichtet haben. Hier ist kurz das Vorgehen der Krankenkassen erklärt und ihre Beteiligung an der Misere: „Krankenkassen wählen im Rahmen von Rabattverträgen einzelne Generikaunternehmen aus, die sie zur Versorgung ihrer Versicherten in Deutschland zulassen. Dies tun sie, indem sie ihre Zuschläge in den EU-weiten Rabattvertragsausschreibungen von Generika ausschließlich nach einem Kriterium vergeben: dem niedrigsten Preis. Wir engagieren uns seit langem dafür, dass auch andere Kriterien berücksichtigt werden sollten. Das Vergaberecht ermöglicht es den Krankenkassen bereits heute, in ihren Ausschreibungen auch Sozial- und Umweltaspekte zu berücksichtigen.“ (Quelle: progenerika, http://www.progenerika.de/antibiotikaproduktion/)

Was tun?

Eine Möglichkeit wäre, nur noch die Medikamente einzunehmen, die nicht in Asien produziert werden. Das ist allerdings nicht so einfach, da es kaum noch Antibiotika aus EU-Produktion gibt und außerdem stehen die Kassen mit den Rabattverträgen dagegen. Und weder Arzt noch Patient können beurteilen, wo der Wirkstoff produziert wurde.

Aber: Wenn wir in Europa wieder eigene Produktionen aufbauen und nur noch unsere eigenen Medikamente für höhere Preise schlucken, wird das die Produktion in Asien nicht verhindern. Diese Schwellenländer produzieren für ihre eigene Bevölkerung, und die ist groß und wächst immer weiter. Somit ist das Thema multiresistente Keime nicht aus der Welt.

Es kann also nur helfen, den nötigen Druck auf die Produzenten in Asien aufzubauen und in die Audits auch Umweltaspekte rund um die Fabrik aufzunehmen.

Vorteil für EU-Produktion

Einen deutlichen Vorteil für eine Produktion in EU-Ländern gäbe es allerdings: Die häufigen Lieferschwierigkeiten von Medikamenten, die deutlich zunehmen, können gemindert werden. Das trifft übrigens nicht nur für Antibiotika zu. Auch darauf weist der ARD-Beitrag hin, aber das Thema füllt einen weiteren Blogbeitrag.

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