Weltweit rund 38,4 Millionen Infizierte, rund 1,5 Millionen Neuinfizierte mit stagnierender bzw. in einigen Weltteilen steigender Tendenz, 650.000 Tote im vorletzten Jahr [1]:Eine maßgebende Ursache der unbefriedigenden Situation bei der Bekämpfung der HIV-Pandemie ist die Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen. Im vorhergehenden Blogbeitrag am Internationalen Frauentag haben wir die internationale Situation anhand des aktuellen UNAIDS-Berichtes [2] beleuchtet. Doch auch in Deutschland besteht noch Handlungsbedarf.
Leben mit HIV-Infektion in Deutschland: Noch immer kein gesellschaftlich breit angelegtes Thema.
In Deutschland können wir uns nicht zurücklehnen: Auch hier besteht Handlungsbedarf in Punkto HIV und Gleichstellung. Das wurde auf einer Podiumsdiskussion* „HIV ist auch weiblich.“ [3] anlässlich des Welt-AIDS-Tages 2022 am 7.12.2022 in Köln deutlich.Trotz verfügbarer Therapien und PrEP, trotz Aufklärungskampagnen (z. B. der AIDS-Hilfe), ist HIV, vor allem unter Frauen, längst noch kein gesellschaftlich breit akzeptiertes Thema.
Das zeigt sich auch daran, dass von geschätzten 90.800 HIV-Infizierten in Deutschland etwa 8.600 HIV-Infektionen noch nicht diagnostiziert sind. Oft sind mangelnde Aufklärung, Diskriminierung und Stigmatisierung Gründe dafür, dass Menschen keine Hilfe in Anspruch nehmen. [4]
Obwohl 20 % der Betroffenen in Deutschland weiblich sind, gilt – auch unter Mediziner*innen – HIV-Infektionen immer noch als Männerkrankheit. Wenn Frauen HIV-infiziert sind, dann vermeintlich nur solche mit liederlichem Lebenswandel, Sexarbeiterinnen, Geflüchtete. Selbst Mediziner*innen lassen nur besonderem Risiko ausgesetzten Frauen die notwendige Aufklärung und medizinische Bildung zukommen, obwohl das Wissen um Prävention und Behandlung doch jede Frau angeht. Wohl auch, weil die sprechende Medizin nicht angemessen bezahlt wird. [3]
Die Medizin ist immer noch vor allem auf Männer ausgerichtet.
Während bei jungen Schwulen HIV und sexuell übertragbare Erkrankungen schnell Themen bei einem vertraulichen Gespräch mit Ärzt*innen sein könne, kann bei Frauen auch aktuell noch immer eine HIV-Infektion lange unentdeckt bleiben, weil Ärzt*innen die begleitenden Erkrankungen nicht richtig deuten. Dabei wird die Tatsache, dass Frauen jeden Alters ein selbstbestimmtes und erfülltes Sexualleben – mit allen Freuden und Risiken – haben können, vielfach ausgeblendet. [3] [5]
Auch bei der Dosierung von HIV-Medikamenten ist der Blick auf Männer noch immer Standard. Klinische Studien mit Frauen gäbe es nur wenige bis keine, so Brigit Körbel vom Frauen- und Familienzentrum der AIDS-Hilfe Köln, Sprechering des Netzwerks Xxelle PLUS NRW. [5] Das Phänomen ist als „Gender Health Gap“ in der Arzneimittel- und Versorgungsforschung bekannt. [6]. Selbst bei HIV-Kongressen gibt es bisher viel weniger Workshops für Frauen als für Männer, ergänzt Alex Frings von der AIDS-Hilfe Aachen, Sprecherin von Xxelle Plus. [5]
„Wir wissen, was zu tun ist.“
„Wir wissen, was zu tun ist, um die Ungleichheiten zu beseitigen“, sagte Winnie Byanyima von UNAIDS mit Blick auf die Situation in der Welt [7]. Und auch für das reiche und westliche Deutschland gilt: Es gibt noch immer Aufklärungs- und Handlungsbedarf zu Frauen und HIV. Insbesondere bei der Aufklärung, Entstigmatisierung und medizinischen Beratung und Behandlung. Darüber hinaus sehen wir zunehmende Tendenzen des Zurückdrängens des schon Erreichten. Das Errungene ist keineswegs sicher, mahnte Professor Rita Süßmuth in Köln eindringlich. „Bleiben Sie wach!“ waren ihre Schlussworte der Veranstaltung im Dezember 2022. [3]
FAZIT: Gleichstellung überall auf der Welt ist eine Voraussetzung, um die AIDS-Pandemie zu beenden. Auch in Deutschland können wir uns nicht zurücklehnen.
Anmerkungen und Quellen:
* Gastgeber war die AIDS-Hilfe Köln, Diskussionspartner*innen waren u.a. Frau Professor Rita Süßmuth, Gesundheitsministerin und Bundestagspräsidentin a.D., der Kölner Sozialdezernent Dr. Harald Rau, HIV-Schwerpunktärztin Dr. Katja Römer, Katrin Baumhauer vom Kölner Gesundheitsamt, HIV-Aktivistin Kelly Cavalcanti, Petra Hielscher von der Aidshilfe NRW sowie vom Frauen- und Familienzentrum Birgit Körbel und Doris Kamphausen.
1 Zahlen: Statista Research Department, https://de.statista.com/themen/1483/hiv-aids-weltweit/#topicHeader__wrapper, Zugriff 5.01.2023
2 UNAIDS: gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS; https://www.unaids.org: In Danger: UNAIDS Global AIDS Update 2022, https://www.unaids.org/en/resources/documents/2022/in-danger-global-aids-update, Zugriff 28.02.2023
3 Podiumsdiskkussion „HIV ist auch weiblich“ am 7.12.2022 in Köln
4 Robert-Koch-Institut: Welt-AIDS-Tag – neue Daten zu HIV/AIDS in Deutschland, Pressemitteilung, 24.11.2022; https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/08_2022.html, Zugriff 24.01.2023
5 Hilscher, P.: Wir wollen empowern! Xxelle Plus startet Solidaritätskampagne „HIV ist auch weiblich!“, Magazin der AIDShilfe Köln, Ausgabe 2022
6 IKK: Das Gender Health Gap. https://www.die-ik.de/ihochzwei-02-2021/gender-health-gap, Zugriff 10.02.2023
7 UNAIDS Press release: Inequalities are blocking the end of the AIDS pandemic, say UN, 29.11.202; https://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2022/november/20221129_dangerous-inequalities, Zugriff 24.01.2023
Abbildung: Veranstaltungs- und Kampagnenmotiv, Xxelle PLUS und AIDS-Hilfe Köln, Dezember 2022